Uraufführung: Martin Grubinger und die Dresdner Philharmonie spielten Fazıl Says Schlagzeugkonzert
Beim Blick auf das Programm des Philharmoniekonzertes am vergangenen Wochenende dürften manche mit der Zunge geschnalzt haben, denn die Zusammenstellung versprach saftigen Orchesterklang und Rhythmus pur. Dass dann auch noch der „beste Schlagzeuger der Welt“ (zwei etwa zehnjährige Jungen im Gespräch an der Garderobe) auftrat, sorgte wohl für den ausverkauften Kulturpalastsaal am Freitagabend: Martin Grubinger himself gab sich die Ehre und stellte sich mit einer Uraufführung einer besonderen Herausforderung. Ein solcher Auftrag dürfte Komponisten ins Schwitzen bringen, denn: ein Stück für Grubinger? Der kann doch alles, was schreibt man denn da noch? In der anschließenden Concert Lounge verriet Grubinger dann aber, dass es genau auf diesen Überraschungsmoment durch den Komponisten ankommt, und das kann ein neues Instrument, eine Spielart oder Geschichte im Stück sein.
Mit dem türkischen Komponisten Fazıl Say ist Grubinger befreundet und wirkte auch schon an Uraufführungen seiner Werke mit. Nun hat dieser ihm ein ganzes Schlagzeugkonzert gewidmet, dass er und die Philharmoniker am Freitag unter der Leitung von Andris Poga aus der Taufe hoben – das Konzert ist ein Auftragswerk der Dresdner Philharmonie, des Sinfonieorchesters Basel und des Musikfests Bremen. Anzumerken ist die Abwesenheit des vielbeschäftigten Komponisten und Pianisten Fazıl Say selbst im Konzert, der stattdessen in Den Haag zeitgleich ein Klavierkonzert spielte. Da sei zum einen die Frage erlaubt, was die Titulierung eines „Composers in Residence“, der er nunmal in dieser Saison in Dresden ist, überhaupt noch bedeutet, zum anderen scheint es auch die oft beobachtbare Rastlosigkeit künstlerischen Tuns aufzuzeigen, die nicht nur Fazıl Say betrifft. Eventuell manifestiert sich so etwas sogar im neuen, übrigens titellosen und ohne explizit geäußerte außermusikalische Bezüge entstandenen Stück selbst, das in gewisser Weise auch vor dem Ohr mit Kaskaden von schnellen und zumeist ungeraden Rhythmen vorbeifliegt, die wie höchst anspruchsvolle Etüden wirken. Den Orchesterpart hat man gleich nach dem Konzert wieder vergessen, weil dieser Grubinger maximal Überleitungen zum Instrumentenwechsel anbietet.
Thematisch, formal oder von der Überzeugungskraft der Ideen wirkt diese Partitur schwach und hangelt sich über einiges melodisches wie rhythmisches Material aus türkischer Musik in einfachen, fast primitiven Passagen vorwärts. Im Gegensatz etwa zu seinen bisherigen Sinfonien, die auch formal viel experimenteller vorgehen, hat der Komponist hier den Apparat wohlgeordnet: Say konzentriert sich auf die Auslotung weniger stimmbarer Instrumente und ordnet vier Sätze dem Waterphone, Rototoms und Pauken, Vibraphon und Glocken sowie Marimba und Boobam (Bambusröhren mit gespannten Membranen) zu.
Grubinger, der die Uraufführung auswendig spielte, hatte damit eine Menge Spaß: vom hauchzarten Streicheln des Vibraphons bis zum peitschend-trockenen Rototomsound staunte man sich mit ihm durch das Stück, und ausgerechnet da, wo Say die Komposition fast im Hall von Röhrenglocken und Streichern entglitt, wurde sie endlich auch im Gesamtklang interessant. Akustisch waren in dieser ersten Aufführung, in der der lettische Gastdirigent Andris Poga Grubinger mehr oder weniger Grubinger lediglich hinterherdirigierte, noch einige Balancefragen zwischen Solist und Orchester offen, was besonders Passagen mit den Rototoms und den letzten Satz betraf, während man sich weiterhin wunderte, dass Fazil Say auf dem klanglich vielseitigen Waterphone zu Beginn von Grubinger bloß eine Art Parole schlagen ließ, die folgenlos blieb.
Kontrast- und beziehungsreich gaben sich die beiden anderen Stücke des Konzerts: Alexander Mossolovs Maschinenmusik für Orchester „Die Eisengiesserei“ (1927) erklang bei der Philharmonie überhaupt zum ersten Mal und hat nach gut neunzig Jahren nichts von seiner Wucht eingebüsst, allerdings hätte man den Futuristen Mossolov nicht als Randnotiz vor die Uraufführung platzieren sollen, sondern am besten gleich neben die illusionistisch-pathetische 5. Sinfonie B-Dur von Sergej Prokofiev, ein zwiespältiges Zeugnis reifer Kompositionskunst samt willfährigem Erfolgs- und Erfüllungsanspruch. Mit diesem Stück kam die Philharmonie gut zurecht, doch Andris Poga forderte mit einem weichen und geradeaus-flüssigen Dirigat die Musiker kaum. So gab es dann trotz schöner melodischer Ausformungen etwa der Flötenpassagen im 4. Satz vor allem in den ersten beiden Sätzen einige Unsicherheiten im Zusammenspiel, und in diesem eigentlich explosiven Konzertkontext fehlte dieser Interpretation einiges an notwendiger, trockener Schärfe und Differenzierung.
Foto (c) Simon Pauly
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