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Gültige Manifeste

Daniel Barenboim und die Staatskapelle Berlin bei den Dresdner Musikfestspielen

Seit 1992 ist der Dirigent und Pianist Daniel Barenboim Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden in Berlin und wurde acht Jahre später von der Staatskapelle Berlin als Chef auf Lebenszeit gewählt –eine Auszeichnung, aber auch die Verpflichtung zu einem beständigen Miteinander. Selbstverständlich ist die Spielkultur des Orchesters der Staatskapelle Berlin seitdem stark von ihrem Leiter geprägt, Barenboims Genialität (das Wort verbirgt bei näherer Betrachtung nie den Geschmack des Unerklärlichen) ist unbestritten und äußert sich vor allem in der unablässig hochklassigen Universalität seines Tuns. Die Intensität eines in völliger Ruhe enorme Kraft verbreitenden Hochleistungsmotors – das gilt dann sowohl für Barenboim als auch für das Orchester, denn da ist im musikalischen Ergebnis tatsächlich keine Trennung auszumachen – war auch das Bild, das man als Zuhörer im Musikfestspielkonzert am Sonntagabend in der ausverkauften Semperoper erhielt.

Mit der dritten und vierten Sinfonie von Johannes Brahms standen zwei Meisterwerke der Spätromantik auf dem Programm, die man zumeist einzeln oft erleben kann. Die Dopplung erlaubte Querverbindungen und erhellte die künstlerische Entwicklung, die der Komponist am Objekt Sinfonie, das ihn zeitlebens nicht ohne Schwierigkeiten beschäftigte, nahm. Barenboim fügte in seinen Interpretationen quasi brennglasartig weitere Aspekte hinzu und sortierte die 3. Sinfonie F-Dur berechtigterweise ins 19. Jahrhundert, während er der von dichterer Polyphonie und schrofferen Charakterwechseln gezeichneten 4. Sinfonie e-Moll die Vision, das Nach-Vorne-Streben zuweist. Natürlich ließe sich dies auch mit einem Blick in die Partituren konstatieren, aber Barenboims große Kunst ist die Selbstverständlichkeit, diese Überzeugungen in klangliche, gültige Manifeste zu verwandeln. Und dafür fordert er bis ins letzte Pult Nachvollzug – und selbigen bekam er an diesem Konzertabend.

Daniel Barenboim und die Staatskapelle Berlin.

Übertreibungen sind seine Sache nicht, und wenn doch, dann dienen sie einer tieferen Absicht. So lernte man von der Staatskapelle Berlin vor allem einen rauschhaft dichten Brahms-Klang kennen, der im Tutti ein sehr räumliches forte bevorzugt, im Allesgeben dann auch manches Mal etwas scharf in den oberen Lagen der Geigen klingend. Lediglich am dynamischen Limit wäre mehr Leichtigkeit und Durchlässigkeit, vielleicht sogar ein schlankerer Streicherklang interessant gewesen und hätte manche letzte Festigkeit gelöst. Genial hingegen war die Umsetzung der voll ausexerzierten Steigerungen und das allseitige Begreifen von Melodiezielen und Phrasierungsbögen – dennoch mit Überraschungskapital, wie das mit Zug musizierte, fast verzweifelt klingende Flötensolo im letzten Satz der 4. Sinfonie. Das eigentlich Überraschende ist, dass die Charaktere der einzelnen Sätze von Daniel Barenboim alle Attribute verliehen bekommen, die man schon zu kennen glaubt.

Das Verblüffende ist: sie stimmen in dieser Scharfzeichnung derart, dass man mit ihnen fabelhaft umgehen kann. Auf diese Weise hat Barenboim nicht nur sein Orchester im Griff, sondern auch den Hörer, das beginnt schon bei den unmissverständlichen, Welten herausfordenden ersten Auftakt-Akkorden der 3. Sinfonie. Wenn der 4. Satz der 3. Sinfonie dann einen ins Offene formulierten, mystischen Beginn offeriert, so ist es genau das, was sich durch Haltung, Tempo, Spielweise in Eindeutigkeit mitteilt. Mit flexiblem Puls gestaltete Barenboim nach der Pause auch die 4. Sinfonie und fand Ersterbensmomente ebenso wie schockartig wirkende Kontraste. Am Ende der monumentalen Passacaglia des 4. Satzes zog er mit der energischsten Handbewegung des Abends den Brahms-Vorhang zu, deutlich mitteilend: dieses umwerfende, wegweisende sinfonische Kapitel ist hier beendet. Finis. Jubel im Semperbau.

Fotos (c) Oliver Killig

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Veröffentlicht in Rezensionen

Ein Kommentar

  1. Freut mich, dass Ihnen die Staatskapelle gefallen hat 🙂

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