Klangatelier mit AuditivVokal Dresden bei den Musikfestspielen
Kein einziges Instrument auf der Bühne, nur ein paar einsame Notenständer – das hatte seinen Grund am Sonnabend im Lichthof des Albertinums, denn in den Konzerten von AuditivVokal geht es allein um die menschliche Stimme in ihren vielfältigsten Ausprägungen. Gleich drei Musikkurse aus Dresdner Schulen fanden sich zu einem Kooperationsprojekt anläßlich der Musikfestspiele bereit und über ein halbes Jahr wurde in den Schulen mit der Musikvermittlerin Ortrud Kegel, dem Musiker Jan Heinke und den Dirigenten Olaf Katzer und Clément Michelot probiert und geprobt, geordnet und wieder verworfen, improvisiert und geschrieben. Das nennt man in der Summe Komponieren und am Ende kam tatsächlich bei allen so etwas wie ein fertiges Werk heraus, das unter großer Spannung aller Beteiligten uraufgeführt wurde.
Die zu Beginn angesprochene Bauhaus-Affinität des Projektes verwischte ein wenig im Laufe des Abends, obwohl mit dem Albertinum eine Aufführungsstätte gefunden war, die ja gerade Kandinsky, Mondrian und die konstruktive Dresdner Avantgarde in den Mittelpunkt rückt, und die Musikfestspiele hatten sich die „Visionen“ auf die Fahnen geschrieben. Aber es erscheint legitim, dass sich die Lehren und Prinzipien der damaligen Zeit nicht zu akademisch in den neuen Chorstücken abgebildet haben, sondern die Schüler auf eine sehr offene, freiheitliche Weise nach Ordnungen und Orientierungen suchten – manchmal stand da eher die Suche selbst im Mittelpunkt, denn warum muss alles immer fertig und korrekt sein?
Die Entstehung von Harmonie war ein weiteres Thema, das etwa gleich der Leistungskurs Musik des Kreuzgymnasiums in flächige Klänge einband, die vom Treppenhaus bis zur Bühne wanderten. Die Janusz-Korczak-Schule suchte dann mit rauschregnenden Folien nach der Intelligenz des Schwarmes und fand sogar im Chaos ein fast entspanntes Miteinander. Die Klasse des Bertolt-Brecht-Gymnasiums schließlich wollte tatsächlich in die Tiefe der Bauhaus-Strukturen einsteigen, was ein Zuspielband, rhythmische Elemente und einen zweiten Dirigenten erforderte – eine echte Forschungsarbeit, mit etwas offenem Ausgang.
Die Sänger von AuditivVokal setzten zu den Aufführungen der Schüler einen Kontrapunkt mit zwei Blöcken der „Songbooks“ von John Cage, die man in der Einzelaktion wahrnehmen kann oder als Gesamtzustand von tönenden, agierenden Individuen – dann tun sich Ebenen auf, die plötzlich berühren oder im Mindesten dankbar verstören können. In dieser Umgebung war auch die Uraufführung von Stefan Wolpes „Schattenspiel-Musik“ aus dem Jahr 1923 passend gesetzt. Tatsächlich scheinen die Dachböden der Welt immer noch unaufgeführte Notenblätter zu bergen und dieses keinesfalls marginale Vokaltrio von Stefan Wolpe machte in seiner Dichte des Tonsatzes mit einem spannenden Komponisten bekannt, der sich eben genau zwischen Wiener Schule, Bauhaus und den New Yorker Künstlerkreisen der 50er Jahre bewegte.
Immer wieder sah man sich im Klangatelier in sehr klare Urzustände der Musik versetzt. Zwischen laut, leise, hoch und tief, Cluster und Einzelton gibt es Abermillionen von Zuständen und Entscheidungen, die ein Stück prägen. Insofern war es nur logisch, dass am Ende alle Ensembles zu einem gemeinsam aufgeführten Stück von Amir Shpilman namens „Malleable Images“ zusammenkamen, bei dem der Riesenchor rund um das Publikum aufgebaut war und man sich mit den kreisrunden oder diagonal zugeworfenen Tönen wie in einer Klangzentrifuge vorkam, bevor kurz vor Schluss einige wunderschöne, nunmehr 70-stimmige Cluster im Raum des Albertinums standen – Klänge, die man tatsächlich noch nie so gehört hatte!
- nächstes Konzert von AuditivVokal Dresden: „Bitte Ruhe, das wächst!“ in der Reihe „Offenes Palais“ im Palais im Großen Garten, 11. Juni 2019, 19.30 Uhr
Foto (c) Cornelius Uhle
Kommentaren