11. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden
Die Unwetterwarnung des Deutschen Wetterdienstes am Montagabend galt eigentlich für die Umgebung der Semperoper. Man hätte sie getrost auch für drinnen aussprechen können: zunächst stand Modest Mussorgskis Fantasie »Eine Nacht auf dem kahlen Berge» auf dem Programm des 11. Sinfoniekonzerts der Sächsischen Staatskapelle Dresden, die im Verlauf des Konzertes ähnlich eines heraufziehenden Gewitters auf der Bühne auf beachtliche Besetzungs- und Phonstärke anwuchs. Die Johannisnacht selbst, auf die sich Mussorgski bezieht, ist erst am 23. Juni erreicht, aber man kann ja schon einmal die Hexen tanzen lassen. Der kolumbianische Gastdirigent Andrés Orozco-Estrada, Chef des hr-Sinfonieorchesters sowie des Houston Symphony Orchestra und ein gern gesehener Gast in Dresden, entschied sich für die bekannte, leider ein wenig die Wucht der Originalkomposition entschärfende Fassung von Nikolai Rimsky-Korsakov, fand aber zu energischen, passenden Tempi, gleichwohl: die Hexen tanzten hier etwas brav im sauberen Kleidchen.
Damit aber wirkte die nun folgende Aufführung des 2. Klavierkonzerts g-Moll von Sergej Prokofiev erst recht wie aus der Wildnis, denn hier entschied sich die in Hamburg lebende 35-jährige Pianistin Anna Vinnitskaya, die übrigens in der nächsten Saison «Artist in Residence» bei der Dresdner Philharmonie sein wird, für ein Kraftspiel der besonderen Art. Das Stück lassen ja manche Pianisten gerne mal aus: es kommt düster und mächtig daher, obendrein ist es viersätzig, und im rasenden Perpetuum mobile des 2. Satz braucht man auch noch so etwas wie eine innen eingebaute Sauerstoffflasche. Alles kein Problem für Anna Vinnitskaya, im Gegenteil. Für sie macht das alles genau den Reiz dieses Konzertes aus, und sie zeichnete von der ersten bis zur letzten Note eine Fieberkurve mit immer wieder staunenswerter thematischer Ausarbeitung und klanglicher Finesse im Anschlag des Flügels.
Vinnitskaya demonstrierte gleich im 1. Satz die tänzerisch-burlesken Qualitäten der Musik und war dabei oft in dem faszinierenden, Mut verlangenden Risikobereich unterwegs, wo das lang Geübte und Geplante ins Entfesselte, Herausbrechende wechselt. Schon ihre Kadenz im 1. Satz atmete diesen enormen Äußerungswillen, und Vinnitskaya belohnte sich diese erste Tour de Force selbst mit einer leichtfüßigen Rasanz im 2. Satz. Dann tanzte sie mit immer neuen klanglichen Farben durch den 3. Satz und war noch selbst freudig überrascht, wie ihre Finger zu Beginn des 4. Satzes in eigentlich unspielbarer Geschwindigkeit flogen und trafen. Vinnitskaya zeigte an diesem Abend eine irre Mischung von gesundem Wahnsinn und exorbitantem Können, man wurde von dieser Energie schier mitgerissen. Das Orchester im übrigen auch: Orozco-Estrada hatte da gut zu tun, mit ihrer Kraft mitzuhalten, das gelang aber sehr gut.
Nach der Pause stand mit Igor Strawinskys «Le Sacre du Printemps» der Skandal-Klassiker des 20. Jahrhunderts schlechthin auf dem Programm – dabei hatte es Prokofiev mit seinem Werk im gleichen Jahr 1913 uraufgeführt nicht unbedingt leichter – und es ist immer wieder ein Erlebnis, einer Aufführung dieser heidnischen Tanzszenen, die für die Ballets Russes in Paris entstanden, beizuwohnen. Das sorgt natürlich längst nicht mehr für Unmut im Auditorium. Doch auch auf der Bühne machte sich in dieser Aufführung merkwürdigerweise Entschärfung breit.
Orozco-Estrada entschied sich für eine Interpretationshaltung, die – mit hohem Musizieranspruch versehen natürlich – ein wenig an ein kleines lustiges Büchlein namens «Kunst aufräumen« erinnerte, in welchem jeder Picasso säuberlich nach Farben und Formen sortiert wird. Hier hatte jede Dissonanz ihren Platz im musikalischen Setzkasten, jedes fortissimo war ein fortissimo, sogar das energetische Wanken in den ungeraden Taktverläufen saß wunderbar. Wahrlich eine exzellente Aufführung, bloß emotional bewegen wollte diese Interpretation dann leider vor allem im 2. Teil nicht mehr, da auch die leiseren Passagen innerhalb dieser Korrektheit ihre Intensität verloren und Orozco-Estrada viel Armarbeit auf die Organisation verwendete, aber der Zauber des Vulkantanzens blieb an diesem Abend Anna Vinnitskaya vorbehalten.
Fotos (c) Matthias Creutziger
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