Lange Nacht der Kammermusik beim Moritzburg Festival
Dass die „Lange Nacht der Kammermusik“ beim Moritzburg Festival nicht nur einen festen Programmpunkt jedes Jahrgangs bildet, sondern sich längst vom Geheimtipp zum Kultevent gemausert hat, bewies die ausverkaufte Kirche in Moritzburg am Donnerstagabend. Gleichzeitig war dieser Abend auch der Konzert-Abschluss der Moritzburg Festival Akademie 2019, bei der 36 junge Musikerinnen und Musiker aus aller Welt zunächst eine Woche mit Orchestermusik, dann mit Kammermusik verbrachten – gemeinsam mit den Profis, die betreuend als Mentoren und Dozenten die Erarbeitung der Werke begleitet haben.
Dass das Niveau auch in diesem Jahr wieder enorm hoch ist, bewiesen ja schon die bisherigen Aufführungen – doch immer wieder ist es auch für die Zuhörer ein spannendes Erlebnis, wie treffend sich ein in Moritzburg gebildetes Quartett oder Quintett für ein nur während der Akademiezeit einstudiertes, anspruchsvolles Werk zusammenfindet. In diesem Jahr gab es neben dem Bewährten (etwa dem Voting für den Publikumspreis in verschiedenen Kategorien) auch das Besondere, und das lag in der Programmauswahl, die die Leiterin der Akademie Mira Wang getroffen hatte.
Mozart hätte sich sicher – im Bunde mit nur wenigen weiteren männlichen Komponistenkollegen – als Hahn im Korb gefreut, denn das Programm bestand vornehmlich aus Kammermusik von insgesamt zehn Komponistinnen, und es verwundert, dass viele davon immer noch kaum bekannt sind. Mira Wang jedenfalls begründete die Entscheidung für dieses Programm sehr einleuchtend mit „Frauen haben eben Power“ und so lernten die Zuhörer von der Venezianerin Maddalena Laura Lombardini Sirmer über Louise Adolpha Le Beau bis hin zu Grazyna Bacewicz und Roxanna Panufnik Komponistinnen aus über vier Jahrhunderten kennen. Jan Vogler, Leiter des Festivals, bekannte am Ende dass ihm einige der Werke auch noch nicht bekannt waren und viele Passagen spannend zu entdecken waren. Dass dies gelang, dafür sorgte das durchweg hohe Niveau der Interpretation durch die Akademisten, was auch das Voting am Ende keineswegs vereinfachte.
Dass Mozart beim Publikumspreis für das 18. Jahrhundert einem Quintett von Luigi Boccherini unterlag, dürfte ihn gewurmt haben, doch Boccherinis warmsatte Klangwelt samt Kontrabass konnte hier mehr gefallen. In Nuancen ließ sich auch immer wieder feststellen, wer sich das richtige Werk ausgesucht hatte, und wo untereinander die Chemie derart stimmte, dass gemeinsam tief in die Kompositionen eingedrungen werden konnte. Das war etwa bei Grazyna Bacewicz‘ Sonate für vier Violinen der Fall, ein auch klanglich außergewöhnlich eindringliches Werk. Den Publikumspreis für das 20./21. Jahrhundert räumte dennoch ausgerechnet das im Programm versehentlich unterschlagene Stück „Blueprint“ der US-Amerikanerin Caroline Shaw (geb. 1982) ab, das subtil die bekannte Klangwelt eines Beethoven-Streichquartetts neu beleuchtete. Dagegen kam auch Ethel Smyths unterhaltsames Streichquintett Opus 1 nicht mehr an, das gleich mal mit einem fugato zu Beginn auftrumpft, aber auch Folk der Insel einbindet.
Bei dem insgesamt vierstündigen Abend waren nicht nur die jungen Musiker die Stars, sondern – so dankte Jan Vogler im Anschluss – auch das Publikum, denn es war eine tolle, konzentrierte Atmosphäre, bei der auf der Bühne Einzigartiges entstehen konnte. So kam etwa eine sehr homogene Darstellung eines Satzes aus einem Streichquartett von Fanny Hensel, am Ende ebenfalls publikumsprämiert, zu Gehör oder auch spannende Bläserkammermusik, wobei die Quintette von August Klughardt und Louise Farrenc dem „Rausschmeißer“-Stück von Nikolaj Rimsky-Korsakov gar den Rang abliefen, da dessen Klavierquintett mit repetierwütiger Klavierbegleitung (Daiki Kato übernahm mit einigen Schweißperlen sämtliche pianistische Aufgaben des Abends) zu den eher wenig einfallsreichen Stücken des Konzerts gehörte.
In den Bläserwerken verbargen sich auch einige fordernde Solopassagen, die Portugiesin Andreia Gouveia sei hier mit ihrem wunderschönen Fagottklang in der Kammermusik „Cantator & Amanda“ von Roxanna Panufnik stellvertretend genannt – im Können war sie den beiden hervorragenden spanischen Hornisten und den mutig aufspielenden Flötistinnen ebenbürtig. Als einziges den Impressionisten nahestendes Werk lernte man Waldszenen – „Scénes de la Forêt“ der Französin Mel Bonis kennen, stark interpretiert von Hannah Tassler (Flöte), Belen Ureña Peñalva und Daiki Kato. Demgegenüber war das Streichquintett e-Moll der aus Baden stammenden Louise Adolpha le Beau einem spätromantischen Stil nahe Rheinberger und Strauss verpflichtet. Noch stärker kontrapunktisch dicht gearbeitet, aber grüblerischer und melancholischer war ein Satz aus einem Streichquartett von Emilie Mayer, allesamt Werke, die man gerne einmal als Ganzes im Konzert hören würde.
Interessanterweise waren auch die Bläserstücke diejenigen, in denen die Musikerinnen und Musiker stärker zu einem gemeinsamen Atem und interpretatorischer Tiefe gelangten, dafür war in den Streichquartetten wiederum die Klangbildung und jeweilige ästhetische Präferenz des jeweiligen Ensembles spannend zu verfolgen. Das „Divertimento & Rondo a la polacca“ von Caroline Boissier-Butini war gar eine deutsche Erstaufführung.
Foto (c) A. Keuk
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