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Teils rasant, teils ominös.

Ensemble El Perro Andaluz spielt sein Jubiläumskonzert in Hellerau

Im Rahmen des Festivals „4:3 Kammer Musik Neu“ im Festspielhaus Hellerau war das Ensemble El Perro Andaluz eingeladen, sein zehnjähriges Jubiläum zu zelebrieren. In großer Besetzung und in Kooperation mit der Tromsø Sinfonietta erklang Musik unter dem Titel „Blasted Big Band Bliss“

Der Legende nach soll sich das Ensemble „El Perro Andaluz“ um 2007 aus einer Zusammenarbeit zweier Musiker mit dem Komponisten Bryan Ferneyhough gegründet haben. Praktischerweise macht diese zeitliche Ungenauigkeit, je nach Perspektive, ein äußerst gedehntes, gerade stattfindendes oder bereits verpasstes Jubiläum möglich. Ein Wunder also, dass sich punktgenau doch eine größere Zahl Publikum am Freitagabend im Festspielhaus Hellerau einfand, um den mythenumrankten Ensemblegeburtstag beim neuen Hellerau-Kammermusikfestival 4:3 zu feiern. Doch es gibt eigentlich nur wenig Nebulöses, stattdessen Erfreuliches aus diesen zehn, elf, zwölf Jahren zu würdigen, denn das Ensemble hat sich nachhaltig mit seinem Engagement für die aktuelle Musik ins Gedächtnis nicht nur der Dresdner gespielt (dafür bekamen sie beispielsweise 2011 den Förderpreis der Stadt Dresden). Mittlerweile waren El Perro Andaluz auch in den mit dem Großbuchstaben D anfangenden süddeutschen Zentren der Gegenwartsmusik ebenso zu Gast wie in Spanien, England, Zypern und Israel.

Bei der Fülle des bislang Gespielten gibt sich das Ensemble im Jahr 2019 keineswegs gealtert, höchstens gereift im Repertoire der Spielarten, Möglichkeiten und anzunehmenden, zu erweiternden oder auch einmal vollmundig abzulehnenden Ästhetiken. Ähnlich wie im surrealen Vorbild des andalusischen Hunds zwinkert dabei der Abgrund immer mit, und so sind die Andaluz-Konzerte seltenst bloße Pflichterfüllung eines Neue-Musik-Spezialensembles, sondern mit Entdeckerfreude, Risikolust und manchmal auch einem saftigen „HA!“ oder „HÄ?“ gewürzt. Und wenn das nicht vom verständnisvollen oder  –losen Publikum kommt, dann gleich vom Ensemble selbst, denn instrumentales Musiktheater und damit ein Schlüpfen in vielfältige Körper-, Szene- und Stimmrollen ist für die Dresden-Andalusier selbstverständlich.

Genug der Laudatio, wie sah die Torte zum Geburtstag denn aus? Am Freitag war sie auf jeden Fall ensemblehandgemacht, denn das Programm sah eine große Kammerorchesterbesetzung vor, für das Musikerfreunde aus Tromsø in Norwegen eingeladen wurden – mit der dortigen Sinfonietta wurde 2018 schon ein „Global Ear“-Programm realisiert. Skandinavien bildete in den vier Werken ebenso einen roten Faden wie die Ästhetik von Minimal Music: Patterns, Loops und abstrakte Formen standen im Vordergrund. Es war bis Konzertende nicht ganz zu klären, ob sich alle Mitglieder tatsächlich diesen gigantischen Haufen an schwarzen Noten zum Jubiläum gewünscht haben.

Pausen und stille Momente waren jedenfalls in den gut siebzig Minuten rar, was aber im Gegenzug eine Fülle an Klangeindrücken und teils rasanten, teils ominösen Entwicklungen innerhalb der Stücke bedeutete. Fast noch sanft kam die Uraufführung von Erik Stifjell daher, auch wenn der Titel „alo – a loud voice talking, whining, yelling riot!“ anderes versprach. Klare Formabschnitte verbanden sich in diesem Saxophonkonzert mit reizvollen Klangflächen, die tatsächlich nordisch-kühl wirkten, souverän agierte der Solist Ola Asfahl Rokkones in diesem eher klassischen Stück, dass mit Effekten nicht geizte – so spielte Rokkones auch mal zwei Saxophone gleichzeitig, was zwar lustig aussah, aber nicht wirklich im Stück eine Rolle spielte, da der Solist an der Stelle im Ensemble auch kaum zu hören war.

David Langs Minimal Music klingt immer ein wenig, als hätte man versehentlich dem Dirigenten ein Strickmuster für einen Norwegerpulli auf’s Pult gelegt, was in diesem Fall ja tatsächlich gepasst hätte. Ansonsten nerven diese Stücke meist, erst recht, wenn wie hier in „I fought the law“ postuliert wird, dass mittels x-fach wiederholter Noten angeblich politischer Protest zum Ausdruck kommen soll. Dass die Patterns nicht einen ganzen Schweißtropfensee unter’m Notenpult verursachten, hängt mit der Kompetenz des Ensembles zusammen, die mutig zu Werke gingen und nur hier und da umwendebedingt ein Schlagloch verursachten.

Um im Bild zu bleiben: steinbruchartig komplex war dann das folgende Stück „Antarctica“ des Isländers Steingrimur Rohloff. Video und Elektronik trat hinzu, heraus kam eine Art Musikmaschine, bei der merkwürdigerweise der hundertprozentige Zugriff des Ensembles fehlte und dadurch der Gesamtklang nicht prägnant genug war. Vielleicht hatte sich „El Perro“ schlicht noch etwas Kraft für Bernhard Langs „DW 24“ – „Differenz Wiederholung“ am Ende aufgehoben, ein Stück mit erneutem Saxophonsolo, bei dem Rokkones ebenso wie das Ensemble unter der agilen Leitung von Lennart Dohms in vielfacher Hinsicht Grenzen touchierten. Aber vielleicht war man genau deswegen gekommen. Auf das Jubiläumskonzert, das mindestens von 2027-2029 stattfindet, darf man schon gespannt sein. Glückwunsch!

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Veröffentlicht in Rezensionen

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