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Ernste Angelegenheiten

 

Britten und Mahler beim Gastspiel des London Philharmonic Orchestra

Seit zwölf Jahren ist Vladimir Jurowski Chefdirigent des ehrwürdigen London Philharmonic Orchestra, einem der besten Orchester der britischen Insel. Kurz nach der Eröffnung des Kulturpalastes gastierten die Londoner 2017 mit Jurowski zu den Dresdner Musikfestspielen, und am vergangenen Sonntag besuchten sie Dresden erneut – zum zweiten Palastkonzert der laufenden Saison, vor fast ausverkauftem Saal. Das Programm gab sich dabei keineswegs so populär, wie es die Namen Britten und Mahler zunächst verheißen. Die 1964 für Mstislaw Rostropowitsch geschriebene „Cello Symphony“ von Benjamin Britten ist eine Rarität auf den Spielplänen und Gustav Mahlers 5. Sinfonie mit der Achterbahnfahrt vom cis-Moll-Trauermarsch über Abgrundwalzer und Adagietto in das stürmische Finalrondo ist auch nicht die unbeschwerteste Abendunterhaltung. Aber das gespannte Publikum verfolgte diese musikalischen Reisen gebannt und die Protagonisten hatten einiges zu erzählen.

Jan Vogler, Solist in Brittens Cello Symphony, begab sich zunächst mit dem Stück in eine Art Bändigungsprozess, denn das Stück gibt zwar farblich deutlich unterschiedliche Charaktere vor, mäandert aber in einer Art umher, die schwer im Spiel zu vermitteln ist, und auch den Zuhörern zunächst sperrig vorkommen muss, weil Britten hier selten einen Weg vorgibt, sondern eher energetische Zustände beschreibt. Vogler blätterte die Charakterwelten der vier Sätze mit Bedacht auf, wobei ihm die surreale Landschaft des 2. Satzes am besten gelang. Im ersten Satz war die düstere Atmosphäre vom ersten Takt bis zur Schlussnote zwar gut eingefangen, aber insgesamt noch etwas unterspannt, auch das Orchester war hier eher verhalten unterwegs. In der Kadenz und auch im 4. Satz kam es zu einigen Schwierigkeiten in der Intonation und im Zusammenspiel mit dem Orchester, so dass die eigentlich spannende Ausdruckswelt des sich am Ende doch lichtenden Werkes, die Jurowski und Vogler sich vorgenommen hatten darzustellen, sich zu sehr in der Bemühung zu einem guten Ergebnis erschöpften.

Interessanterweise ging es zunächst thematisch nach der Pause genauso ernst und auch mit forschender Absicht weiter. Anstelle Gustav Mahler eine wie auch immer geartete Deutung dieses komplexen Werkes unterzujubeln, stellte Jurowski den 1. Satz erst einmal wie ein großformatiges, klares musikalisches Bild hin: langsam, gemessen, aber bis in kleinste Verästelungen mit seinen Musikern differenziert dargestellt, was etwa eine akzentuierte Passage der Celli demonstrierte oder später in der Sinfonie ein Statement dreier Klarinetten, die in der Intensität fast die Rückwand hinter dem Publikum zu durchbohren schienen. Solche genau geformten Klanginseln und wirklich auch musikalische Aha-Effekte fand Jurowski in der Partitur zuhauf, und sie werden sonst gerne oft im Schwung übergangen. Bedacht und Ernst machte seinen Zugang auch in den weiteren Sätzen aus.

An wenigen Stellen waren dann doch einige Auftakte zu schwer musiziert, aber das Konzept von Zeitnehmen und Innehalten lohnte auch für die kraftvollen Steigerungen der Sinfonie, bei denen das London Philharmonic zeigen konnte, was in der Gemeinschaft seiner Orchestergruppen möglich ist: da entfaltete sich vor allem ein brillanter Tutti-Klang, dem die Vehemenz des Werkes eigentlich noch entgegen kommt. Beeindruckend gerieten dann die Hornrufe im Scherzo – Jurowski hatte seinen 1. Hornisten dafür an eine exponierte Stelle der Bühne platziert, was übrigens auch aus ersten Aufführungen der Sinfonie beim London Philharmonic Orchestra überliefert ist, ein spannendes Detail dieser Mahler-Aufführung, bei der Jurowski dann im Adagietto pure Klangschönheit walten ließ – Jurowski wählte einen eher langsamen Zugang zu dem allseits bekannten Satz, vermied aber jegliches Stocken oder eine Übertreibung im Ausdruck.

Dass im Rondo-Finale im Orchester mit ordentlich Selbstbewusstsein brilliert und gejubelt wurde, war dann beinahe absehbar und doch schlicht fulminant in der Wirkung, die Jurowski hier immer noch fein kontrolliert sortierte und erst auf den letzten Metern in einen Klangrausch goss. Für diese sehr intensive Darstellung der Sinfonie wurden das Orchester und Vladimir Jarowski anschließend mit Jubelrufen und stehenden Ovationen gefeiert.

Foto (c) Oliver Killig

 

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