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Radikale Musizierfreude

Anna Vinnitskaya als Artist in Residence bei der Dresdner Philharmonie

Ohne sichtbaren äußeren Anlass sind bei der Dresdner Philharmonie derzeit russische Wochen angebrochen, die bis Weihnachten als Faden in den Programmen deutlich zu verfolgen sind. Das bildet zum einen schönen Kontrast zu dem allseits zu hörenden Weihnachtsrepertoire, aber vielleicht wurde auch der oft seelenwärmende Gestus dieser Musik mitbedacht – die körperlich äußere Wärmung ist bei den aktuellen Temperaturen ja beinahe nicht notwendig. Statt des in den letzten Jahren viel gespielten Dmitri Schostakowitsch stehen nun einmal Komponisten wie Tschaikowsky und Prokofiev im Mittelpunkt, und je einem Werk der beiden widmete sich Chefdirigent Marek Janowski im Philharmoniekonzert am Sonnabend. Zudem trat die russische, in Deutschland lebende Pianistin Anna Vinnitskaya als neuer „Artist in Residence“ des Ensembles erstmalig in dieser Saison auf.

Marek Janowski, Anna Vinnitskaya

Etwas ungewöhnlich ist es schon, dass sie mit dem gleichen Werk – dem 2. Klavierkonzert g-Moll von Sergej Prokofiev vor genau einem halben Jahr bei der Staatskapelle Dresden gastierte, aber es gehört zum Wesen von Musik, dass man mit den Stücken lebt, ihnen aus dem Moment heraus Leben einhaucht und als Zuhörer immer wieder diese unwiederbringlichen Augenblicke entdecken und genießen kann. Um diese Augenblickskunst scheint es Vinnitskaya in besonderer Weise zu gehen. Fraglos hat die 36-jährige Pianistin das Stück schon oft gespielt, aber genau dieses Wachsen mit dieser keinesfalls zur leichtfüßigen Unterhaltung zuzuordnenden Komposition hat einen besonderen Zugang befördert, den man im Kulturpalast bereits in den ersten Takten feststellen konnte.

Mit Wissen um das Kommende ging Vinnitskaya ruhig und trotzdem mit großem, klaren Ton nach der Orchestereinleitung ans Werk und schuf eine Interpretation, bei der nicht mehr das Werk radikal wirkte – mit heutigen Ohren mutet die dissonanzgeschärfte Klangsprache des frühen Prokofiev ja beinahe vertraut – sondern ihr Spiel, das gleichsam Instrument, Ensemble und Zuhörer freudig herausforderte. Das war mit einer Art Dressur vergleichbar, wo die Partner sich absolut konzentriert ihren Aufgaben stellen und diese auf den ganz leicht dehnbaren Grenzen des Möglichen lösen. Vinnitskayas Partner war der Flügel, den sie mit unglaublicher Lust, Kraft und auch Übersicht bearbeitete, und sie hatte keine Scheu davor, in der riesigen Kadenz, die ja formal den ersten Satz aushebelt, gleich das ganze Orchester für überflüssig zu erklären: Janowski holte sich diese Bedeutungshoheit mit exzellenten Klangfarben im dritten und vierten Satz eh zurück. In den ersten beiden Sätzen gab es zwischen Vinnitskaya und Janowski ein spannungsvolles Austarieren, das sich mit jedem Takt immer mehr lockerte, so dass man im Finale nur noch atemlos Vinnitskayas fliegende Arme und Janowskis weiterhin die gut den charakteristischen Orchesterklang des Werks befördernde Hinweise bewunderte. Ein Fest!

Den Übergang zum sinfonischen Werk nahm Anna Vinnitskaya gleich selbst mit dem wunderschön schlicht gespielten April aus den „Jahreszeiten“ von Peter Tschaikowsky vor. Dieser Schlichtheit begegnen wir zwar auch in seiner 6. Sinfonie h-Moll, der berühmten „Pathètique“, aber in dieser letzten Sinfonie verhandelt der Komponist vor allem Emotionen von Rückschau und Abschied – das Fagottsolo leitet die elegische, später auch tragisch-dramatische Stimmung des Stücks ein. Marek Janowski wählte flüssige, jedoch völlig im Rahmen der Partitur stehende Tempi für die vier Sätze, und das Stück bekam unter seinen Händen eine enorme Tiefe der Aussage, da etwa der Höhepunkt des 1. Satzes mit vollem Bogeneinsatz der Violinen gelang, aber eben nicht mit einer leider in diesem Werk sonst bekannten, triefenden Überhöhung des Klangs.

Genial war der zweite Satz von ihm auf einen flüssigen Puls gebettet, so dass sich dieser Tanz wie auf frisch gefallenem Schnee  drehte. Dass Janowski auch nach hinten in den Saal erfolgreich dirigieren kann, bewies er mit einem unmissverständlichen Signal in Richtung des nach dem 3. Satz ertönenden Beifalls – die Geschichte dieser Sinfonie ist hier eben noch nicht zu Ende. Der vierte Satz geriet trotz dieses kleinen Vorfalls zu einem intensiven Abgesang, hinunter in die Abgründe der tiefen Streicher. Vinnitskaya und Janowski gelangen so gleich zwei sinfonische Krimis an einem Abend. Das Opfer: ein absolut begeistertes Publikum.

* Das Konzert wurde als Stream von Euroarts mitgeschnitten und ist hier ansehbar.

Fotos (c) Oliver Killig

 

 

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Veröffentlicht in Rezensionen

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