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Verzaubert und verführt.

Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker im Kulturpalast Dresden

Zwar ist der Dresdner Kulturpalast in letzter Zeit nicht immer bis auf den letzten Platz gefüllt – ein Umstand, der eigentlich angesichts der Klasse des Saales manchmal verwundert – doch am vergangenen Freitag meldeten die Dresdner Musikfestspiele zum Palastkonzert „ausverkauft!“. Klar – die Berliner Philharmoniker unter ihrem neuen Chef Kirill Petrenko wollten nun wirklich alle hören. Nicht jedem ist es gelungen, und daher sei hier eindringlich die Bitte geäußert, die Frequenz der Besuche deutlich zu erhöhen, schließlich haben wir hier an der Elbe immer noch den Peripherieverdacht. Nach dem Konzert von Berlin zurück mit der Bahn? Vergessen Sie’s!

Drum schätzten Klassikfreunde sich glücklich, dass Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker den Kulturpalast auf ihrer ersten gemeinsamen Deutschlandtournee mitbedachten, finalissime zudem, und dieses Detail war deutlich an der gemeinsamen Spiellust anzumerken, die allerdings, so darf mehr als spekuliert werden, auch aus der Wahrnehmung der hervorragenden Akustik erwuchs: manch ein Philharmoniker dürfte sich da beinahe wie zu Hause an der Herbert-von-Karajan-Straße gefühlt haben. Zum Kulturpalast-Debüt mitgebracht hatten die Berliner eines allerdings nicht: einen Solisten. Denn der war diesmal das Orchester selbst, und dafür hatte Petrenko hoch anspruchsvolle Sinfonik aus dem 20. Jahrhundert ausgewählt, bei der von abenteuerlichem Orchestertumult bis zu russischer Seelentiefe viel zu entdecken war.

Beinahe augenreibend schaute man auf die Entstehungsdaten der Stücke von Igor Strawinsky, Bernd Alois Zimmermann und Sergej Rachmaninow, die gerade einmal einen Zeitraum von 14 Jahren umfassen. Die beiden russischen Beiträge sind zudem in den USA entstanden, während Zimmermann in Köln indianische Legenden für sein erstes Orchesterwerk „Alagoana“ studierte, allerdings lag auch die Partitur von Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ auf seinem Tisch. Diese Querverbindungen legte Petrenko mit dem Orchester im ersten Teil des Konzerts mühelos offen. Strawinskys „Sinfonie in drei Sätzen“ aus dem Jahr 1946 musizierte er schneidend scharf und mit fantastischen Bläserfarben. Wo andere Orchester meist in diesem Stück damit beginnen, den Halbgarwert eines Staubkorns zu untersuchen, entdeckt und zelebriert Petrenko den unterschwellig fühlbaren, nahezu hitzigen Puls der Sinfonie. Plötzlich kann man nicht mehr weghören und ist natürlich ebenso atemlos staunend, weil bei den Berliner Philharmonikern jeder Akkord wie Chrom funkelt.

Und das bleibt den ganzen Abend so, erst recht in Bernd Alois Zimmermanns Ballett-Suite „Alagoana“ (1955), die dann in ihrer vollen Wucht und Pracht durch den Kulturpalast wirbelt. Kirill Petrenko kennt da keine Gnade (nebenbei: seltsam extraterrestrisch mutet schon an, wie schon beim Debüt des Orchesters im Saal selbst eine völlig über Kreuz gestrickte Polyphonie im tutti des zweiten Satzes durchsichtig bleibt), und seine Lust an dieser Musik ist ebenso fühlbar und mitreißend für Zuhörer und Musiker gleichermaßen, wenn er etwa eine von Zimmermann sorgsam versteckte blue note der 2. Violinen mit der linken Schulter herauskitzelt oder einen finalen Akkord derart mit einem Arm ins Rund meißelt, dass man doch nach dem Konzert die Emporen auf erste feine Risse überprüfen möchte. Das orchestrale Vollbad in diesem folkloristischen Pseudo-Brasilien, dieses orgiastische Kölner Kettenkarussell samt traumwandlerischen Klanglandschaften im leisen dritten Satz und herausgestreckter Zunge im Finale war ein großer Spaß und auf diesem Niveau bis zu den tickenden Klanghölzern im Schlagzeug auch noch atemberaubend präzise.

Wenn überhaupt schon nach diesem Konzert vorsichtig darüber philosophiert werden darf, was das Neue dieses Windes ist, den Petrenko nach Berlin mitbringt, dann ist es wohl eine emotionale Überzeugungskraft, aus der heraus wir eine tiefe Wahrheit der Musik zu fassen vermögen und damit auch Bernd Alois Zimmermann als eine der wichigsten musikalischen Stimmen des 20. Jahrhunderts wahrzunehmen in der Lage sind.  Solche Ver- und gleichzeitig Entzauberungsarbeit gab es auch nach der Pause zu bewundern. Dass nämlich die 1941 geschriebenen „Sinfonischen Tänze“ von Sergej Rachmaninow arg aus der Zeit gefallen zu sein scheinen, ist kein Geheimnis. Doch genau da knüpft Petrenko an und zwingt zum genauen Hinschauen. Natürlich blickt Rachmaninow in diesem Werk zurück, natürlich ist der Pathos zum Greifen nahe und die Geste groß.

Aber was sind das bitte für zauberhafte Klänge, die die Berliner Philharmoniker da Takt für Takt entfalten? Mit vollem Bogen wird bis zum letzten Pult musiziert, und die Spannung der Musik läßt sich sogar daran ablesen, wie kurz pausierende Musiker mit ihren Kollegen aufmerksam mitgehen. Keiner nimmt sich da aus. Und Kirill Petrenko zeichnet sanfte Wellen in die Luft, schaufelt Bass empor, lässt Fünfe gerade sein und lädt zum Schluss auch noch zum Gebet: Rachmaninow sakral? Ja natürlich, sagt Petrenko und wir beten andächtig mit und genießen den letzten Kraftausbruch. Was für eine Verführung! Der Applaus ist mindestens so frenetisch wie Zimmermann und Petrenko zeigt sich berührt von diesem Jubelausbruch. Stehende Ovationen, Keine Zugabe – Glückes genug. Mehr davon – und bitte bald!

Fotos (c) Oliver Killig

 

 

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Veröffentlicht in Dresden Rezensionen

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