Zum Inhalt springen →

Am Ende ist nichts mehr wie vorher.

Erste CD-Veröffentlichung der Dresdner Philharmonie mit Marek Janowski

Seit Beginn der Saison 2019/2020 steht Marek Janowski der Dresdner Philharmonie wieder als Chefdirigent vor. Die konzertant aufgeführte Oper dieser Saison, Pietro Mascagnis im Jahr 1890 uraufgeführter Geniestreich „Cavalleria Rusticana“ ist jetzt als CD veröffentlicht worden.

In „eine neue Ära“ sei man bei der Dresdner Philharmonie gestartet, teilte das Orchester zu seiner neuen CD-Veröffentlichung mit Pietro Mascagnis einaktiger Oper „Cavalleria Rusticana“ mit, der ersten Aufnahme unter der Leitung von Marek Janowski, der seit der Saison 2019/2020 dem Orchester vorsteht. Janowski hat die konzertante Oper zu einem konstanten Repertoirezweig seines Schaffens in Dresden erkoren, wobei anzumerken ist, dass die Philharmonie auch in der Vergangenheit solche Konzertabende immer wieder mit wechselnden Dirigenten realisiert hat. Nach der Vorlage dieser CD samt erstem österlichen Durchhören ist klar: die Qualität dieses Musikerlebnisses ist herausragend und rechtfertigt auch das etwas gewagte Cover eines magmawerfenden Vulkanausbruchs.

Und trotzdem lassen die Dresdner im Sinne des hohen Anspruchs, den Janowski und alle Musiker an die Interpretation stellen, musikalisch die Kirche im Dorf, was auch das einzig Beständige in der Handlung dieser Oper ist. Denn, und das ist eine derzeit auch angesichts der Erkenntnisse jenseits des Vertiefens in musikalische Kunstwerke bestürzende Wahrheit, am Ende ist nichts mehr wie vorher. Die letzten Fanfaren der Oper stürzen wie eine Lawine über den Zuhörer – Tod, Vorhang, Aus. Wie konnte das passieren, fragen sich die Zuhörer, die noch Minuten zuvor schwelgerischen Liebesarien und ausgelassenem Tänzen am Wirtshaus beiwohnten? Janowski und die Dresdner Philharmonie gestalten diesen unaufhaltbaren Untergangsfaden von der ersten Minute an spannend und plausibel.

Roxana Constantinescu, Melody Moore, Marek Janowski und die Dresdner Philharmonie während der Aufführung von Pietro Mascagnis „Cavalleria Rusticana“am 8. März 2019 – Foto (c) Oliver Killig

Schon im Vorspiel ist eine vage Hitzigkeit zu spüren, die allmählich auf das ganze Orchester übergreift. Die im März 2019 parallel zu zwei Aufführungen im Kulturpalast entstandene CD lebt auch von der Leistung des exquisiten Gesangsensembles und des hervorragend als munteres Dorfvolk für Stimmung sorgenden MDR Rundfunkchors. Nur selten, wie etwa bei Brian Jagdes Ausgestaltung der Turridu-Partie, tritt die Spielfreude zugunsten einer etwas angestrengt wirkenden Konzentration zurück. Melody Moore (Santuzza) und Elisabetta Fiorillo (Lucia) treffen genau das notwendige Kolorit dörflicher Einfachheit, können aber beide ebenso wie Roxana Constantinescu (Lola) zu schönster Dramatik auffahren, ohne dass der eruptierende Vulkan sich in einen zu starren Belcanto-Altar verwandelt.

Opernzettel einer Aufführung in Parma, 1891

Wie nah Idylle und Schrecken beieinander liegen, machen Janowski und das Orchester spätestens ab dem fein kammermusikalisch austarierten „Intermezzo Sinfonico“ klar. Dass die Gegenwart dieses Opernmeisternwerk mittlerweile auf der linken Spur überholt hat, sollte uns nicht am Genuss dieses Sänger- und Orchesterfestes hindern. Vielleicht erkennt man ja gerade durch eine solche schlanke, auch tonmeisterlich detailfreudig gestaltete und vor allem in den Streichern erfreulich homogene Aufnahme erst recht den Wert dieses mit heißem Stift für einen 1888 in der Zeitung ausgeschriebenen Wettbewerb komponierten, geistreichen Theaters – Mascagni entschied den Wettbewerb natürlich für sich.

Ein kleines „Schade“ schleicht sich dann doch am Ende ein: der damals ebenfalls im Konzert präsentierte Einakter von Giacomo Puccini „Il Tabarro“ hat es leider nicht auf diese CD geschafft – es wäre ein spannender Vergleich der Handschriften dieser zeitgleich wirkenden Komponisten gewesen. Doch die Veröffentlichung ist separat für den Herbst 2020 geplant. Beim nächsten Mal sollte außerdem im an sich immer hochwertigen Booklet des Labels Pentatone doch bitte auch Platz für die Porträts der mitwirkenden Sänger sein – sie haben es verdient. Als letztes bleibt die Hoffnung, dass die an diesem Wochenende nun nicht stattfindende konzertante Opernaufführung der Philharmonie, die Oper „Fidelio“ von Ludwig van Beethoven – in erneut hochkarätiger Sängerbesetzung – zu einem geeigneten Zeitpunkt sowohl live als auch in der Produktion für die CD nachgeholt werden kann. Im #weiterhören-Format bietet die Dresdner Philharmonie derzeit umfangreiche Materialien und ein Interview mit Marek Janowski zu „Fidelio“ online an.

 

Auf mehrlicht befinden sich mehr als 600 Rezensionen, Interviews und Kulturfeatures. Wenn Sie als Leser*in mein werbefreies Blog mit einer kleinen Spende unterstützen wollen, freue ich mich sehr.

 

image_pdf

Veröffentlicht in Rezensionen

Kommentaren

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert