El Perro Andaluz spielte im Deutschen Hygiene-Museum
Erst ausgefallen, nun nachgeholt: Mit der Eröffnung der neuen Konzertreihe „Mensch und Technik“, die KlangNetz Dresden in Kooperation mit dem Deutschen Hygiene-Museum konzipiert hatte kehrt auch die zeitgenössische Musik wieder an den bewährten Ort zurück. KlangNetz Dresden hofft, die Reihe mit seinem Ensembleverbund mit verschiedenen Veranstaltungen im zweiten Halbjahr gebührend fortzusetzen zu können.
Am Donnerstagabend spielte das Ensemble „El Perro Andaluz“ im großen Saal im Hygiene-Museums insgesamt fünf neue Werke, die sich mehr oder weniger direkt auf das Thema bezogen. Die Betrachtung von Technik hätte in einer extremen Darstellung auch die Komponente Mensch komplett ausschalten können, doch es ging eben auch um die Beziehung – innerhalb wie außerhalb des musikalischen Erfahrungsraums. El Perro Andaluz hatte den Abend leicht augenzwinkernd unter das Motto eines Countdown zum Lockdown gestellt, somit war ein Entgegenbibbern zur Null hin garantiert. Die entpuppte sich aber als Seifenblase, denn wenn man schon kalt von der Leinwand „Guten Abend“ wünscht (KI wäre der nächste Schritt, und der ist im Hygiene-Museum auch schon ausstellungsmäßig geplant), hätte am Ende auch eine entsprechende Entlassung über die biederen Verbeugungen hinaus inszeniert werden können. Doch dazwischen gab es reichlich Anlass, um sich über das Thema „Mensch und Technik“ hörend Gedanken zu machen, was ja schon bei der selbstverständlichen Wahrnehmung anfängt, dass Musik selbst eine Technik ist oder eine Technik zum Erzeugen derselben benötigt.
Gleich das erste Stück, Stefan Prins „Piano Hero #1“ trieb diese Lapidarität des „Taste drückens“ am Piano auf die Spitze, indem über den Synthesizer ein künstlicher Pianist in Filmschnipseln einen Flügel malträtierte, Realität und Virtualität sich in Virtuosität verschmolz. Alexander Plötz problematisierte in „Durch wellenübertragene Kommunikation begleitete Satellitenumrundung, betrachtet als formales Problem“ die eigene Komposition, Technik des Schreibens und Schöpfens hinterfragend, was das Problem aufwarf, wie man solche Doppelbödigkeit hören soll. Das für mich eindrucksvollste Werk stammte von dem Brasilianer Januibe Tejera: „Hors Cadre“ vergrub sich in minimalistische Boxen aus Wiederholung und Variationen, wenngleich komplett instrumental erdacht – gleich einem imaginären, innere Energie aufweisendem Schaltplan.
Demgegenüber wirkte Malika Kishinos alle möglichen Klangerzeugungsarten auskostendes Stück „Lebensfunke“ für große Trommel fast fehl am Platz im Kontext, konnte aber zumindest wieder über das Thema Spieltechnik wieder in die Assoziationsräume finden. Martin Grütter wiederum baute einen ganzen Katalog aus „55 Singularitäten“, die an frühe Experimente der Kinomusik erinnern, bei der jede Emotion einen Dreitakter verpasst bekam. Überhaupt wäre dem Thema Gefühl in diesem Zusammenhang fast ein eigener Konzertabend zu widmen; eine gewisse Kühle und Intellektualisierung des Sujets war spürbar und unabwendbar, doch von dort gibt es viele Stränge bis hin zum Humor, was auch das Abschlussstück bewies: zu Marcel Beyers Gedicht „Kosmos“ erzeugten die Nachwuchskosmonauten von Ensemble Perro Andaluz (Leitung Tomas Westbrooke) ihre Vorstellung von einem musikalischen Äther, auch wenn in diesem poetischen Einzelfall Chemnitz kein Funknetz hatte. Aber wir sind ja in Dresden.
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