Saisoneröffnung bei der Dresdner Philharmonie
Gibt es so etwas wie ein halbes oder dreiviertel Glück? Vielleicht war es auf jedem Fall ein wiedergefundenes, auch mit vielerlei Anstrengungen wiedererobertes Glück bei der Saisoneröffnung der Dresdner Philharmonie am vergangenen Wochenende, zu der Intendantin Frauke Roth persönlich das Publikum begrüßte und ihm gleichzeitig Dank für die fortwährende Begleitung auf dem „behutsamen Weg“ zurück in die Normalität aussprach. Und bei allem, worauf wir immer noch und weiterhin verzichten müssen, war doch das wieder eingekehrt und eingelöst, was einen Hauptgrund für den Besuch im Kulturpalast bei der Dresdner Philharmonie ausmacht: der Sehnsucht nach Begegnung und Berührung in der Musik konnte entsprochen werden, und zwar nicht mit halben Sachen, sondern mit einem vollständigen und intensiven Konzerterlebnis.
Dazu gehörte, dass mit gut 800 Personen im Saal auch ein voller Spannung die Jubiläums-Saison erwartendes, treues Publikum versammelt war, aber eben auch, dass zumindest die Eröffnung beinahe wie geplant mit Beethoven gelang – nicht mit der „Missa Solemnis“, die wir hoffentlich in Bälde hören werden, wenn sich die Lage für Sänger und Chöre entspannt – aber zumindest mit zwei Klavierkonzerten. Ursprünglich waren alle fünf Konzerte geplant, mit deren kompakter Aufführung sich ja spannende künstlerische Entwicklungslinien im Werk Beethovens verfolgen lassen. Hier war nun brennglasartig die Aufmerksamkeit auf das 3. und 4. Klavierkonzert gerichtet, die ohne Pausenunterbrechung oder Werkkontrast nebeneinander gestellt wurden, und: vom gleichen Solisten gespielt, was außerdem interessante Gedanken zu Interpretation und Deutung ermöglichte.
Mit Seong-Jin Cho (26), der als erster Koreaner überhaupt den renommierten Chopin-Wettbewerb im Jahr 2015 gewann, war ein sehr interessanter Solist eingeladen worden, der schon im März bei der Saisonvorstellung von Chefdirigent Marek Janowski außerordentlich empfohlen wurde. Dass Janowski bei seiner Wahl von Solisten nicht nur junge Talente zu fördern weiß, sondern auch außergewöhnliche, auch das Orchester herausfordernde Handschriften präsentiert, wurde bei diesem Konzert offensichtlich. Denn keineswegs begnügten sich beide mit dem hinlänglich Bekannten, gar Bequemen. Die Mischung aus einem spürbar offenen und gleichzeitig in den Details sorgsam vorbereiteten Interpretation war die Basis für eine gelungene Dialogarbeit zwischen Janowski und Cho, die sich immer wieder gegenseitig befruchtete und damit auch die Stärke der Kompositionen hervorhob.
Spannend war schon die Themengestaltung, sei es in der großen Orchestereinleitung im 3. Konzert oder, von Cho in sehr natürlicher Weise vorgetragen, beim berühmten Beginn des 4. Konzertes, das niemals einen fertigen, festen Charakter tragen sollte, weiß man um die Komplexität der nun folgenden Partitur! Und genau diese Feinheiten durfte man bei Cho in vielen Passagen bewundern: sein Spiel ist hochintelligent und von großer Ruhe und Übersicht getragen. Akzente bekommen bei ihm eine urwüchsige Kraft, und sein Können mit schnellen, perlenden Passagen und Trillern ist nuancenreich und zwingt zum Hinhören. Vor allem in den beiden langsamen Sätzen und in den Kadenzen gab es spannungsreiche Momente, die im Maß und im Verhältnis gut auf den Punkt gebracht waren und trotzdem musikalischen Atem verströmten.
So arbeitete Janowski auch mit dem konzentriert folgenden Orchester ebenso detailreich an Übergängen, gemeinsamen Akzentsetzungen oder einigen von Beethoven fast schon halsbrecherisch komponierten Balance-Passagen im 4. Konzert. Die flüssige und von Janowski klar bestimmte Tempogestaltung, etwa im Unterschied zwischen einem ‚Allegro‘ und einem ‚Vivace‘ trug da ebenso zur Charakterisierung der beiden sehr unterschiedlichen Werke bei wie das Hervorheben von harmonischen Hakenschlägen oder gewichtigen Gedanken in den Mittelstimmen. Das war in der Summe dann ein lebendiger Beweis, wieviel Abenteuer (und Hochgenuss) Beethoven in jedem neuen, seriösen Angehen bietet. Und wenn dann der zweite Satz im 4. Konzert in seiner Kontrastierung zwischen dem rhythmisch geschärften Orchesterpart und dem wie ein ruhiger Bach dahinfließendem Solopart am Ende wie der Genuss eines klaren kalten Glases Wasser wirkt, ist doch das Glück offenbar wieder im Konzertsaal angekommen.
Fotos (c) Oliver Killig
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