Große Erleichterung machte sich breit, als bekannt wurde, dass das 32. Filmfest Dresden coronabedingt nicht komplett ausfallen musste, sondern von April auf September verschoben wurde. Natürlich mussten dennoch Daumen gedrückt werden, denn immer noch kann es jeden Veranstalter bei einer Verschlechterung der Gesamtsituation treffen. Doch die Planung ging gut, das Filmfest konnte nun stattfinden und es war nicht nur von der Bewältigung der Anforderungen und Auflagen hervorragend gelungen, man hatte auch beinahe das übliche Filmfest-Feeling. Jedoch die regelgerecht halbvollen Säle und die Kontaktverfolgung erinnerten an die besondere Situation, und man konnte auch nicht mit allen Gästen und Filmschaffenden leibhaftig aufwarten, trotzdem freuten sich rund 17200 Festivalbesucher über das umfangreiche Angebot, das auch wieder Regionales und einen Themen- und Städtefokus beinhaltete.
Wo persönliche Anwesenheit nicht möglich war, gab es Videobotschaften und Grußworte, viel Improvisation und vermutlich die eine oder andere schlaflose Nacht für die Crew und vor allem ein dickes Paket guter Filme – wie gewohnt, aber auch in diesem Jahr nicht unbedingt erwartet. Sicher – zur Deadline beim Filmfest 2020 war noch keine Pandemie in Sichtweite und daher war das Thema auf der Leinwand maximal im selbst hinzugefügten Subtext vorhanden, wenn es um Ängste, Nähe oder, wie im Sonderprogrammthema, um „Spuren des Traumas“ ging, deren filmische Verarbeitung überhaupt erst für manche(n) eine legitime Möglichkeit der Annäherung jenseits einer verbalen Äußerung bietet.
In diesem Jahr war ich terminlich nur zu wenigen Screenings anwesend, nutzte aber die gegebene Möglichkeit des Online-Festivalparts und hatte sogar das Glück, bei meinen ausgewählten Kinobesuchen ein paar spätere Preisträgerfilme zu erwischen. Dass ich beim „Animated Films“ Sonderprogramm (das ich an dem Abend als netten Ausgleich zu einem heftigen Tag mitnehmen wollte) erst im Kino sitzend davon las, dass genau dieses Programm mir nun sechs Filme zum Thema „Trauma“ bescherte, ist persönliches Pech. Ich ging dennoch sehr bereichert aus dem Kino und war fasziniert davon, wie unterschiedlich und ebenso behutsam wie direkt sich Filmemacher dem Thema näherten.
Das Filmfest Dresden zeigte in der vergangenen Woche insgesamt 338 Filme, 70 liefen in den Wettbewerben. Dabei fanden in bewährter Weise auch wieder Screenings im PK Ost und Thalia statt, aber auch das Neumarkt-OpenAir oder die Veranstaltungen in der PhaseIV konnten stattfinden. Die Jury kürte am vergangenen Sonnabend die neun Preisträger der „Goldenen Reiter“ im nationalen und internationalen Wettbewerb, es gab Sonder-, Publikums- und Jugendjury-Preise und auch einige Special Mentions.
Aus der Pressemitteilung des Filmfestes: „Der mit 20.000 Euro dotierte Filmförderpreis der Kunstministerin, gestiftet vom Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus, ging an die deutsche Produktion MASEL TOV COCKTAIL von Arkadij Khaet und Mickey Paatzsch. Die beiden erhielten außerdem den Publikumspreis im Nationalen Wettbwerb im Wert von 4.000 Euro. Der Goldener Reiter für den besten Animationsfilm im Internationalen Wettbewerb ging an ZORG 2 von Auden Lincoln-Vogel aus Estland. THE PHYSICS OF SORROW von Theodore Ushev (Kanada) erhielt den Publikumspreis im Internationalen Wettbewerb und eine Loebende Erwähnung. Im Nationalen Wettbewerb wurden Jan Koester und Alexander Lahl für BRAND mit einem Goldenen Reiter für die beste Animation ausgezeichnet. Die Jury für GeschlechterGerechtigkeit vergab den LUCA-Filmpreis an die Animation WOCHENBETT von Henriette Rietz, die sich außerdem über eine Lobende Erwähnung freuen konnte.“ – Alle Preisträger und Jury-Begründungen sind hier im pdf nachzulesen.
Gesehen habe ich außerdem STAY AWAKE, BE READY (Hãy TỉnH THức Và Sẵn Sàng) von Pham Thien An, der als bester Kurzspielfilm im Internationalen Wettbewerb ausgezeichnet wurde, ein spannender One-Shot-Film, der mit Szene und Zuschauer spielt. Auch der skurrile spanische Film EL INFIERNO Y TAL (HELL AND SUCH) von Enrique Buleo (Spanien 2019) war unter den späteren Preisträgern (ARTE Kurzfilmpreis), ich fand ihn vor allem als persönlich kompromisslose Handschrift eine wohltuende Abwechslung, während manche anderen Beiträge doch auch vieles in bekannter Weise abhandelten, seien es Familienkonstellationen, große Gefühle oder auch filmische Experimente (wie 4:3 von Ross Hogg). Und lediglich beim Filmton war ich komplett anderer Meinung, denn der ausgezeichnete Film „Plume“ kam nun akustisch komplett konventionell daher, währenddessen ich etwa bei Virgil Widrichs faszinierendem Experimentalfilm „tx-reverse“ in einen musikalischen Sog gezogen wurde. Leider ging dieser Film leer aus, hier ein Making-Of:
Und leider bekam auch mein Lieblingsfilm keinen Preis, ich bin aber sicher, den werden wir in mancher Kurzfilmnacht noch sehen, weil er einfach Spaß macht, nämlich Aline Höchlis (CH) „Warum Schnecken keine Beine haben“:
Why Slugs Have No Legs – Trailer from Square Eyes on Vimeo.
Ein Sonderprogramm namens „Happiness Machine“ wurde noch aus Wien importiert. In diesem Projekt des Klangforum Wien hatten Komponistinnen zeitgenössischer Musik gemeinsam mit Regisseurinnen von Kurzfilmen unter dem Thema nachhaltige Zukunft und Gemeinwohl-Ökonomie zusammengearbeitet. Nicht jeder der 10 Filme geriet überzeugend, mit dem Thema tat sich mal die Musik, mal die filmische Darstellung schwer und manchmal passten auch die Paarungen nicht, so dass man etwas ächzend aus dem Saal kam nach der Vorführung. Zum Ausgleich gab es aber auch so etwas durchgeknalltes wie „Good Luck Yonpey“ von Shota Shimizu, hier einmal komplett.
Schließlich sei von mir noch eine Special Mention für „Metamorphosis“ von Carla Pereira erlaubt, der mit einer skurrilen Figurenwelt, aber einem ernsten Hintergrund aufwartet. Der Film ist gerade bei arte in voller Länge zu sehen.
Das 33. Filmfest Dresden findet vom 13.-18. April 2021 statt, Call for Entry is open.
Auf mehrlicht befinden sich mehr als 600 Rezensionen, Interviews, Reiseberichte und Kulturfeatures. Wenn Sie als Leser*in mein werbefreies Blog mit einer kleinen Spende unterstützen wollen, freue ich mich sehr.
Kommentaren