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Saftiger Brahms-Klang

Neue Brahms-Einspielung der Sächsischen Staatskapelle Dresden

Fast ein bisschen rar macht sich der Erste Gastdirigent der Sächsischen Staatskapelle, Myung-Whun Chung, wenn es um Aufnahmen mit dem Dresdner Orchester geht – bislang ist nur ein Konzertmitschnitt von Ludwig van Beethovens „Eroica“ im Handel erhältlich. Dabei weist der koreanische Dirigent eine beachtliche Diskografie auf – vor allem widmet er sich gerne der Musik des 20. Jahrhunderts und kooperiert mit Solisten aus aller Welt. Bei der Asien-Tournee der Sächsischen Staatskapelle Dresden im September 2019 traf er mit dem Pianisten Sunwook Kim (geb. 1988) zusammen – das Konzert mit dem 1. Klavierkonzert d-Moll von Johannes Brahms wurde live mitgeschnitten und kürzlich beim Label Accentus Music veröffentlicht – damit liegt das Brahms-Konzert nun sowohl in einer Aufnahme mit Chefdirigent Christian Thielemann (und Maurizio Pollini am Klavier) sowie nun mit Myung-Whun Chung vor.

Sunwook Kim ist kein Unbekannter – er ist Kammermusikpartner des Cellisten Isang Enders und konzertierte auch schon mit der Dresdner Philharmonie unter Leitung von Michael Sanderling. Nach dem Gewinn des renommierten Klavierwettbewerbs in Leeds 2006 startete er erst in den letzten Jahren richtig durch, gibt Recitals in Sälen wie der Wigmore Hall oder der Philharmonie Paris und wird 2021 erstmals mit den Berliner Philharmonikern auftreten. Mit Myung-Whun Chung verbindet ihn schon eine längere Zusammenarbeit. Gemeinsam mit dem Seoul Philharmonic Orchestra nahmen sie bereits das 5. Klavierkonzert von Ludwig van Beethoven sowie eine CD mit Werken der koreanischen Komponistin Unsuk Chin auf. Auf der Asien-Tournee mit der Staatskapelle wurden Kim und Chung für ihre Brahms-Interpretation gefeiert und tatsächlich kann man die Begeisterung im Seoul Arts Center beim Hören der neuen CD sofort nachfühlen.

Sunwook Kim

Schon die Orchestereinleitung des Klavierkonzerts ist von Chung ebenso präzise wie musikalisch eindeutig gestaltet, ein saftiger, gut bekannter Klang romantischen Musizierens umfängt den Zuhörer. Kim antwortet auf diese selbstbewusst-markige Sinfonik mit sehr guter Phrasierung am Flügel und spielt spätestens in der Durchführung des 1. Satzes immer emotionaler, wobei Orchester und Solist Brahms‘ Absichten nur zu unterstreichen, zu intensivieren suchen. Das ist bis zu den letzten Akkorden im 1. Satz nur konsequent zu nennen und erschafft ein packendes Hörerlebnis. Einzig die Holzbläser sind akustisch etwas bleich im Hintergrund platziert – im 2. Satz klingt das dann besser ausbalanciert.

Mit Sunwok Kims Zelebrierung der Langsamkeit dieses Adagios muss man sich ein wenig anfreunden, doch die feierliche Auskostung tut dem zauberhaften Schluss des Satzes gut und schafft einen feinen Kontrast zum nun sorgenfrei musizierten Rondo-Finale, in welchem vor allem der rhythmische Feinsinn fasziniert: Kim und Chung musizieren immer schwingend und flexibel, trotzdem bleibt eine sehr gute Präzision zu beobachten, so etwa im Zusammenspiel mit den Pizzicati der Streicher: das wirkt lebendig und macht viele Nuancen des Stücks hörbar. Wer nun in der Klangwelt von Johannes Brahms beim Zuhören so richtig gut angekommen ist, dem bietet die Aufnahme noch eine Intensivierung: die sechs Klavierstücke Opus 118 stellen mit ihren vielen zu treffenden Charakteren noch einmal hohe Anforderungen an die Gestaltungskraft des Pianisten. Sunwook Kim löst das nicht nur souverän ein, er nimmt die Hörer auch durch eine zielgerichtete, dem Erzählen stets verpflichtete Phrasierung in diese herrlich romantische Klangwelt mit.

  • Johannes Brahms: 1. Klavierkonzert d-Moll, Opus 15 / Sechs Klavierstücke, Opus 118
    Sunwook Kim, Klavier / Sächsische Staatskapelle Dresden, Myung-Whun Chung
    CD, Accentus Music ACC30501 (2020)

Fotos (c) Matthias Creutziger


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