Ein Jahr Corona – Die Dresdner Philharmonie blickt zurück
Der große Saal im Kulturpalast ist voller Menschen und Mikrofone. Musik tönt aus allen Ecken, und in der Mitte steht Daniel Orén, der Gastdirigent, der an diesem Nachmittag das Orchester bei einer CD-Aufnahme von Giuseppe Verdis „Traviata“ leitet. Alles wie immer bei der Dresdner Philharmonie? Nein, nichts wie immer, und doch tönt Musik und doch leuchten die Augen der Musikerinnen und Musiker, weil sie nicht zum Nichtstun verdammt sind, sondern das maximal Mögliche in dieser Pandemiezeit unter Beachtung der aktuellen Vorgaben und Regelungen gemeinsam auf die Bühne bringen. Das ist heute eben eine Opernaufnahme für die CD, und im Parkett wirkt sogar bis in den Rang verteilt mit drei Metern Abstand der Sächsische Staatsopernchor mit.
In den nächsten Wochen wird Chefdirigent Marek Janowski wieder das Orchester leiten – weitere Rundfunkaufnahmen stehen an. Vor genau einem Jahr saß die Leitung des Orchesters zur Spielzeitkonferenz im Foyer, zwei Tage später war das Haus geschlossen. Ein Jahr Pandemie, das hieß viel Musik unterlassen, aber auch Musik ermöglichen unter extremen und sich immer wieder verändernden Bedingungen – Frauke Roth sprach in der Pressekonferenz, die zu diesem Anlass am Donnerstag von einer „irrsinnigen, historischen Zäsur“. Die Tragweite sei allen bewusst, die Geschichten dazu dürften erst später erzählt werden, so die Intendantin, allerdings sei so eine Zeitmarke eine Gelegenheit, mitzuteilen, wie sich Musikmachen und Musikmöglichmachen in diesem besonderen Jahr verändert habe.
Als Gemeinschaft sei die Dresdner Philharmonie immens gewachsen, so Frauke Roth, weil alle in besonderer Weise mit- und füreinander gearbeitet hätten. Und obwohl physisch nicht anwesend, ist es ausgerechnet das Dresdner Publikum, das dem Orchester in diesem Jahr besonders die Treue hält. Das ist nicht nur durch Zahlen erklärbar, wie etwa, dass die Konzerte mit Publikum der Saison zu 90,5 Prozent ausgelastet waren und auch später durch den zweiten Lockdown abgesagte Konzerte zunächste ausverkauft waren. Viel wichtiger, so Frauke Roth, seien die vielen Rückmeldungen und Kontakte, die insbesondere nach dem eigens produzierten CD-Gruß des Orchesters eintrafen, der einer Zeitungsausgabe beilag und inmitten in den Lockdowns am Frühstückstisch für Berührung sorgte.
Denn was derzeit so immens fehlt und auch digital – bei allen positiven Wirkungen der neu entwickelten Formate – unersetzbar sei, ist der persönliche, analoge Austausch zwischen Publikum und Bühne, Werk und Interpret, Begegnung und Gemeinschaft von Zuhörerinnen und Zuhörern untereinander, damit schlicht alles, was das kulturelles Leben in dieser Stadt ausmacht. Trotzdem, und an dieser Stelle lobt Frauke Roth nicht nur alle ihre Kolleginnen und Kollegen in der Verwaltung wie auch im Orchester selbst, sondern auch den „absolut flexibel“ agierenden Chefdirigenten („ein Glücksfall!“) Marek Janowski, der gleich im ersten Lockdown ein außergewöhnliches Haydn-Hindemith-Programm für den Rundfunk realisierte.
Die durch Janowski immer verfolgte, qualitativ einzigartige Spielkultur, ging daher auch mit den Abständen im Saal nicht verloren, im Gegenteil wurden nun, so Solobratscherin Christina Biwank als Vertreterin des Orchesterverstands, „alle Sinne beim Spielen geschärft“. Es zähle nun beispielsweise das Visuelle viel mehr, weil die Kollegen, die zur gleichen Zeit mit den Noten einsetzen, viel weiter weg sind. Mittlerweile haben sich alle, auch dank des akustisch hervorragenden Saals, gut auf das neue Spielen eingestellt. Trotzdem, so Biwank, fehle natürlich die Energie eines Konzerts mit Publikum , der kleine Moment des „leisen Raschelns zwischen den Sätzen, die Spannung eines Innehaltens“.
Man habe, so Intendantin Frauke Roth, natürlich schnell auf die Möglichkeiten des Kontakthaltens zum Publikum reagiert, und neben den beliebten One-to-One-Konzerten auch Online-Formate entwickelt, die sicher auch über die Pandemiezeit hinaus in der Zukunft Bestand haben werden, wie überhaupt dieses Jahr auch eine Zeit des Nachdenkens und Innehaltens für den Organismus Orchester an sich bedeutet habe. Zur aktuellen Situation befragt, sei die Wiederaufnahme des Konzertbetriebs mit Publikum momentan nicht absehbar, entsprechende Bedingungen (Testpflicht, Kontaktnachverfolgung, Anpassung der Sitzzahl u.ä.) werden derzeit geprüft und ein entsprechendes Zugangskonzept erarbeitet.
Bei der Dresdner Philharmonie orientieren sich die Vorbereiteungen bereits jetzt auf die Sommerzeit und die kommende Saison hin, ein „kurzfristiges Hin- und Hergeschiebe der Stadtgesellschaft“ sei für alle Beteiligten eher zermürbend. Um die Wiederaufnahme des Konzertbetriebs besser planen zu können, werden u.a. Telefongespräche mit dem Publikum geführt. Wer daran gern teilnehmen und angerufen werden möchte, kann sich unter ticket@dresdnerphilharmonie bzw. 0351/4 866 866 gern melden.
- Am 26. März 2021 überträgt Deutschlandfunk Kultur live ein Konzert aus dem Kulturpalast Dresden mit Werken von Martinů, Kabeláč und Dvořák unter der Leitung von Tomáš Netopil.
Foto Header (c) Alexander Keuk / Foto Frauke Roth (c) Markenfotografie
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