Gustav Mahlers 5. Sinfonie im Philharmoniekonzert
Wenn bei der Saisoneröffnung der Dresdner Philharmonie eine Art Unbeeindrucktsein von den letzten anderthalb Jahren Kulturausbremsung spürbar wurde, dann ist das garantiert keine mangelnde Vorsicht, sondern kann als ein nach vorne zeigendes, hoffendes Bekenntnis zur Musik und zur Musikausübung verstanden werden. Deswegen war es folgerichtig und natürlich für das Publikum beglückend, das zu Beginn gleich ein Füllhorn an musikalischen Höhepunkten ausgegossen werden konnte: Beethoven mit Janowski, ein kleines Musikfestival mit zeitgenössischer Musik, und nun am Wochenende tatsächlich eine Mahler-Sinfonie – in voller Besetzung auf der Kulturpalastbühne.
Als kleines Bonbon lockte am Sonnabend außerdem eine Filmaufnahme während des Konzerts: Hollywood im Kulturpalast, mit Cate Blanchett in der Hauptrolle! Die allerdings war am Abend nicht zu erspähen, und wer Stunts, Glamour oder Romance erwartete, konnte davon zwar reichlich in der Mahler-Partitur finden, aber im Saal zeugten nur einige behutsam unter den Zuschauern gemischte Komparsen und Kameras sowie eine schwarze Wand an der Seite von den Aufnahmen, die in keinster Weise den Musikgenuss störten. Gespannt sein darf man auf den Film, der sich um den fiktiven Charakter der Lydia Tár als erste weibliche Chefdirigentin eines deutschen Orchesters dreht, dennoch.
Unter Einhaltung der Regelungen und Testvorschriften durfte das Orchester die Mahler-Sinfonie wieder im gewohnten Nahbereich mit den Kolleginnen und Kollegen spielen. Sicher hat die längere Phase des Abstands mit gespitzten Ohren auch für diese Normalsituation Veränderung bewirkt – auffällig war auf jeden Fall die scharfe Konzentration der Philharmoniker bei der Klangbildung. Und das kommt der fünfsätzigen, an Ereignissen reichen Sinfonie Nr. 5 cis-Moll von Gustav Mahler natürlich zugute. Sorgfältig ging es in den Streichergruppen zu, da wurde mit gutem gegenseitigen Kontakt am richtigen Entstehen und Verschwinden der Noten gebastelt, was gleich im ersten Satz zu einem, man muss es so sagen, wunderschönen Trauermarsch führte.
Von den ersten fein intonierten Trompetennoten an entfaltete dieser Satz eher eine irdische Melancholie, vertrauensvoll geleitet von dem russischen Gastdirigenten Stanislav Kochanovsky. Klare, schöne Holzbläserfarben bestimmten den Satz, der gut ausgearbeitet war und nur am Schluss einen kleinen Spannungswackler hatte. Was Mahler an Dramatik im 2. und 3. Satz anbietet, zeichnete Kochanovsky mit großer Energie nach und motivierte die Philharmoniker zu Höhenflügen in vorwärtstreibenden Passagen. Mystifizierung ist Kochanovskys Sache nicht, dafür hat ja Mahler schon selbst gesorgt („Niemand capiert sie“, so der Komponist über sein Werk) und so breitete der Dirigent schlicht aus, was da an irren Schönheiten in diesem Stück eigentlich alles vorhanden ist.
Im 2. Satz betörte die Cellogruppe, später stürzte das ganze Orchester regelrecht in den letzten Höhepunkt und war dabei auch noch homogen auf den Punkt. Im Scherzo (aber auch im 5. Satz) begeisterte die neue 1. Hornistin der Dresdner Philharmonie, Sarah Ennouhi, mit einer wunderschönen Gestaltung ihrer Soli und bekam am Ende auch einen Sonderapplaus vom Publikum. Im Adagietto, dem berühmten langsamen Satz der Sinfonie, wurde gesungen und aufeinander gehört – Kochanovsky erreichte vor allem im Übergang zur Wiederholung des Themas einen zauberhaften Moment und sanften Ruhepunkt im gesamten Werk.
Sodann widmete man sich dem von Mahler mit Ausrufezeichen versehenen Ausklang, der Lichtmusik des 5. Satzes, deren fugato-Windungen von Kochanovsky mit niemals versiegender Energie angegangen wurden. Die mehrfach anlaufende Schlusssteigerung versah er mit gutem Timing, sodass am Ende nicht nur der einhellige Jubel in der Partitur, sondern auch im Publikum stand – eine tolle, klangstarke und für Kommendes Mut machende Aufführung!
Foto (c) Marco Borggreve
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