Inklusives Experimentelles Improvisationsorchester startet im Zentralwerk Dresden
Eine Initiative aus mehreren professionellen Musiker*innen aus der zeitgenössischen Dresdner Musikszene gründet derzeit ein inklusives Improvisationsorchester. Entstanden ist die Idee aus den theatralischen Projekten des Vereins „farbwerk“. Das neue Orchester könnte in den nächsten Wochen an den Start gehen und lädt zum Mitmachen ein.
Seit vielen Jahren veranstaltet der im Zentralwerk in Pieschen ansässige Verein „farbwerk“, der Kunst und Kulturverein für Künstler*innen mit und ohne Behinderung, in Dresden vielgestaltigige Theaterproduktionen. Einige davon fanden in Kooperation mit der Bürgerbühne des Staatsschauspiels im Format des „Clubs der anders Begabten“ statt. Aus dem Zentrum der bisherigen Aktivitäten heraus entstand nun die Idee zu einem inklusiven Improvisationsorchester, denn Musik hat in den bisherigen farbwerk-Projekten immer eine große Rolle gespielt. Die Dresdner Flötistin und Komponistin Karoline Schulz hat bei einigen dieser Stücke als Musikerin mitgewirkt und engagiert sich nun gemeinsam mit weiteren Musiker*innen und dem Verein für die Gründung des Orchesters. Im Gespräch teilte sie ihre persönlichen Erfahrungen mit dem inklusiven Theater mit: „Die musikalischen Begegnungen und Erlebnisse mit den Darsteller*innen waren für mich durch ihre mitreißende Spontanität, Echtheit und Ausdruckskraft sehr beeindruckend.“
Staatsschauspiel Dresden /Bürger Bühne „10 Jahre -Ein Fest“In der letzten Produktion an der Bürgerbühne „10 Jahre ein Fest“ gab es beispielsweise eine Orchesterszene, in der die Darstellerinnen gemeinsam mit vier Musiker*innen mit großer Begeisterung sowohl auf traditionellen Orchesterinstrumenten wie Geige, Cello und Schlaginstrumenten, als auch auf experimentellen Klangobjekten wie Gläser, quietschende Pappen und Schreibmaschine gespielt haben. Nun entstand aus diesen Eindrücken die Idee, eine Form zu finden, die musikalischen Impulse fortzusetzen. Schulz und ihren Mitstreiter*innen geht es bei der Orchestergründung darum, die verschiedenen Möglichkeiten und Fähigkeiten der Menschen, die daran teilnehmen, zu nutzen, sich ergänzen zu lassen und gleichwertig zu einem künstlerischen Ausdruck zu führen.
Mit Karoline Schulz arbeiten nun die Geigerin Emily Yabe, der Gitarrist Max Loeb und der Pianist Thorsten Reitz an der neuen Idee, und mit Stefan Pietschmann kommt ein Multiinstrumentalist dazu, der auch zum Bauen neuer Instrumente zur Verfügung steht. Alle eint ein professioneller Umgang mit improvisierter Musik und langjährige Erfahrung im Ensemblespiel – etwa im Ensemble „El Perro Andaluz“. Aber gemeinsam ist ihnen auch eine offene Haltung zu zeitgenössischer Kunst, die in diesem neuen Projekt eben nicht im elitären Elfenbeinturm stattfinden wird, sondern bereits im Entstehungsprozess (barriere-) frei und aus dem Moment heraus wachsen soll.
Karoline Schulz nennt dafür zwei wichtige Ausgangspunkte: die zeitgenössische Musik und die freie Improvisation. Bei der zeitgenössischen Musik reize sie vor allem die große Experimentierlust und Offenheit gegenüber allem Klingendem und der Form. Der Ansatz der Freien Improvisation bedeutet, dass nicht das (mühsame) Erreichen einer von außen gesetzten Partitur die Voraussetzung des gemeinschaftlichen Musizierens ist. „Es ist eine Praxis, in der nicht zwischen richtig und falsch unterschieden wird, sondern die Form „ergibt“ sich aus den im jeweiligen Moment gültigen musikalischen Aktionen.“, so Schulz.
Das bedeute aber nicht, dass es egal ist, was man spielt, sondern im Gegenteil bedürfe es einer Übung des Hörens und einer Wachheit des Wahrnehmens. Schulz sieht die neue Idee als eine Bereicherung für alle Menschen, denn die klassische Instrumentalausbildung ermöglicht zwar das korrekte Spielen eines Instrumentes, führt aber durch ein Leistungsdenken auch oft zu Schranken und Hemmungen: „Das kann ich nicht. Ich bin eigentlich unmusikalisch.“, hört man da beizeiten. Doch gerade die Unbefangenheit und Ausdrucksfreude von Menschen, die eben „anders“ sind und die Welt anders erleben seien dazu eine wunderbare Ergänzung. Musik als eine Kunst, die gemeinschaftlich in der Zeit gestaltet wird, soll ein Zusammenwirken von Menschen ermöglichen, die mehr oder weniger gut ein Instrument spielen mit Menschen, die vielleicht nur wenige Klänge hervorbringen können und sie dabei gleichwertig an dem Ganzen des Musizierens teilhaben lassen.
Dabei ist das Improvisationsorchester kein fertigzustellendes Kunstprodukt. Schulz erzählt, dass es auch darum geht, Wagnisse einzugehen, Gewohnheiten zu hinterfragen und Möglichkeiten zu suchen und auszuprobieren, wie wir als Gesellschafft, aber auch wir als Künstler*innen auch für Menschen mit Behinderungen eine aktive Teilhabe am kulturellen Leben schaffen können. Vielleicht könnte das gerade auch für die Neue Musik eine Möglichkeit sein, aus ihrem Nischendasein herauszutreten und ihren Errungenschaften in einem neuen Kontext einzubringen.
Das INKLUSIVE EXPERIMENTELLE IMPROVISATIONSORCHESTER als ein neues Musikprojekt von farbwerk e.V. und Musiker*innen für Menschen mit und ohne Behinderung startet im März 2022 jeweils an den Dienstagnachmittagen im Zentralwerk Pieschen. Musikalische Vorkenntnisse und eigene Instrumente sind erwünscht, aber keine Voraussetzung.
Im Januar und Februar sind an Dienstagnachmittagen musikalische Kennenlernkurse geplant,
die im Zentralwerk Pieschen und auch direkt in Wohnheimen und Werkstätten für behinderte
Menschen stattfinden können. Die Kurse finden in kleinen Gruppen statt, parallel dazu gibt es die Möglichkeit der Einzelförderung.
Weitere Informationen und Anmeldungen im Internet unter farbwerk-kultur.de oder
bei Renate Schwardt, E-Mail: info@farbwerk-kultur.de Tel.: 01 59/ 06 21 72 16
Fotos (c) Holger Rudolph, Sebastian Hoppe, farbwerk e. V.
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