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Konzertwoche in Wien

Wie manche Leser:innen bereits gemerkt haben dürften, befinde ich mich mit Unterbrechungen immer wieder einmal in Südtirol und Wien. Nachdem die Ausbeute an Konzerten auch virusbedingt in Südtirol gegen Null tendierte, ist in Wien schon bald nach der großen Aufhebung im März ein Normalzustand in der Kultur eingekehrt. Dennoch merkt man natürlich noch Nachwehen, hier und da ist man vom bisherigen Verkaufsstand der Karten und Buchungen vorpandemischer Zeiten noch etwas entfernt.

Das betraf auch das (erste) Konzert mit manch lichter Reihe der Wiener Symphoniker im Musikverein am Mittwoch, das einen kompletten Rachmaninov-Abend offerierte. Allein für die Pianistin Anna Vinnitskaya hätte „die Bude voll sein müssen“, muss man lakonisch einfach sagen, denn ihre besonders temperamentvolle, persönliche und trotzdem in allen Punkten hoch seriöse Interpretation der beliebten „Paganini-Variationen“, Opus 43 begeisterte die Zuhörer, die Vinnitskaya dann auch zu zwei wunderbar gespielten Zugaben aufforderten. Ein Interview mit der Pianistin habe ich übrigens anläßlich ihrer Residenz bei der Dresdner Philharmonie 2020 geführt.

Dirigiert wurde der Abend von Lahav Shani, mit dem die Symphoniker sehr gerne und gerade wieder intensiv in mehreren Programmen zusammenarbeiten. Dabei ist die 2. Sinfonie e-Moll vor allem eine Herausforderung, weil das vom Komponisten auch mit vielen inneren Widerständen geschaffene Werk zwar gut ins Ohr geht, die schiere Länge und vor allem die immer wieder neu ansetzende und durch immer neue Tonarten rotierende Kontrapunktik die Flüssigkeit der Musik immer wieder ausbremst. Das aber ist ein kompositorisches Problem (und eins des komponierenden Rezensenten dazu), doch Dirigenten wissen darum und finden in der Partitur vor allem eins: klangliche Finesse und lyrischen Reichtum. Genau damit wusste Shani gut umzugehen und holte mit den sehr guten Musikern immer wieder Höhepunkte heraus, ließ Celli oder Klarinetten singen und verband alles zu einem schlüssigen Ganzen.

Stehende Ovationen für Bruckner (Bild: Alexander Keuk)

Mit Christian Thielemann auf dem Plakat ist in Wien nahezu ein ausverkauftes Haus garantiert, erst recht in einem Philharmoniker-Konzert im Musikverein, wenn Strauss und Bruckner auf dem Programm steht, Stücke aus dem Kernrepertoire des Dirigenten also. Dabei ist Repertoire eigentlich ein böses Wort, wenn es um so eine zauberhafte, kenntnisreiche und klangstarke Interpretation der 6. Sinfonie A-Dur von Anton Bruckner geht, deren viele Feinheiten eben auch nicht immer offen herumliegen, sondern unterstützt und herausgekitzelt werden wollen. Thielemann macht dies mit ruhiger und sicherer Geste, im Tutti beruhigt er sich völlig, weil die Wiener Philharmoniker da ohnehin „die Maschine“ kongenial laufen lassen.

Partystimmung nach dem Konzert war also garantiert, weil wieder auch viele Thielemann-Fans aus dem In- und Ausland im Musikverein weilten. „Sein“ Bruckner ist ja eigentlich hinlänglich bekannt und auch auf Tonträgern dokumentiert, aber die Live-Begegnung ist dann doch immer wieder ein Genuss, und gerade das aus einer anderen, lichteren Welt stammende Adagio banden die Philharmoniker zu einem besonders emotional anrührenden Klanggeschenk.

Zuvor hatte die Sopranistin Camilla Nylund die „Malven“ von Richard Strauss in der Orchestrierung von Wolfgang Rihm sowie die „Vier letzten Lieder“ gesungen, die sie bereits mit Thielemann im Einspringer-Konzert zum Andenken an Ernst von Schuch der Staatskapelle Dresden im September 2021 aufgeführt hat. In Wien klang dies ebenfalls berührend, wenngleich Nylunds Formung der Linie manchmal zu sehr im Vordergrund steht. Sie könnte vieles noch natürlicher fließen lassen, wie etwa im wunderbar gesungenen dritten Lied „Beim Schlafengehen“. Zudem musste Thielemann einige Male arg in die Knie gehen, um gute Verschmelzung zu ermöglichen, dann aber taten sich vermutlich schöne pianissimo-Welten auf, die nur bei mir in der 27. Reihe nicht mehr ganz anlangten.

Soviel zur Hochkultur. Nein, Quatsch, mit solchen Titulierungen stecken wir Musik nur in Ecken, in die sie nicht hingehören und gerade Anna Vinnitskaya erstaunt mich immer wieder, weil man schlicht durch ihr Spiel eine große Freude an der Musik, an den Stücken empfindet. Doch Musik kann ja auch beim Hören einen anderen Anspruch haben, zum Beispiel den des Forschens oder auch Hineingebens in den Klang. Dafür zog es mich am Sonnabend nach dem Musikverein noch in den echoraum im 15. Bezirk – ein Konzertort zeitgenössischer Musik, der schon seit 30 Jahren besteht und Klangkünstler:innen unterschiedlichster Provenienz und Farbe eine Heimstatt und ein Labor bietet.

Improvisationen und Electronics sind da ebenso gern gesehen und gehört wie Genresprengungen. Kreuzweise – im Wortsinn der Saiten – bespielte die Komponistin Judith Unterpertinger (JUUN) an diesem Abend auch ihre „Pianoguts“ – Teile und Reste von Wandklavieren, die neue eigene Klangqualitäten erhalten und mit Schlegeln und Blechen, Nägeln und Drähten lustvoll erkundet werden. Schroffe Metallklänge wechseln sich hier mit ruhigeren Flächen ab, so dass einige Tableaus entstehen, die immer wieder andere Farben haben, aber doch die gleiche Materialherkunft, wie die titelgebende „4mg“-Schneeflocke.

Morgen geht es weiter mit Musik in Wien, dann mit dem CD-Release von Luisa Imorde im Bösendorfer Salon. Stay tuned.

Fotos (c) Alexander Keuk (2)

 


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Veröffentlicht in Rezensionen Wien

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