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Polychromie: Messiaen und Couperin im Dialog

Spannende Begegnung: die Pianistin Luisa Imorde verbindet auf ihrem neuen Album Klaviermusik der französischen Komponisten François Couperin und Olivier Messiaen.

Zweieinhalb Jahrhunderte trennt die beiden Komponisten auf dieser CD, und doch verbindet sie einiges. Genau das Vorhandensein von beidem – größtmöglicher Entfernung und dann wieder überraschender Verbindung macht diese CD außergewöhnlich. Die Pianistin hat in der Vergangenheit schon Schumann und Widmann, Beethoven und Wölfl und Bach und Kapustin gepaart und damit ganz neue Hörerfahrungen geschaffen. Und nun entwirft Luisa Imorde Couperin und Messiaen nicht als museale Skulpturen, sondern schaut gewissermaßen mit dem heutigen Auge und Wissen auf die beiden herausragenden Persönlichkeiten. Ihr geht es nicht um einen musikwissenschaftlich korrekten Zugang oder gar so etwas paradoxes wie eine ‚perfekte‘ Interpretation (denn was soll das sein?), eher erscheint sie als Vermittlerin der musikalischen Wirklichkeit in den Prélude-Serien von 1716 und 1929. Das heutige Auge und Ohr gibt ihr auch die Berechtigung, auf „ihrem“ Instrument die Sicht auf Couperin zu entwerfen, und der sanfte Riese des Bösendorfer-Flügels erscheint für beide Komponisten überaus geeignet.

 

François Couperin

Und die Gemeinsamkeiten? Sind mehr, als man vermutet: Beide sind Franzosen, lebten und wirkten in Paris und waren Meister der Tasteninstrumente ihrer Zeit, Messiaen zeitlebens an der Orgel als Titularorganist in der Kirche La Trinité, Couperin ebenso in der Kirche St. Gervais, und letzterer natürlich in vielfältiger Funktion am Clavecin bei Hofe. Die gewählte kompositorische Form eint beide Schöpfer ebenfalls, wobei allerdings nur der modernere auf etliche Vorbilder dieses Genres zurückblicken konnte – François Couperin (1668-1733) war gewissermaßen einer der Erfinder des instrumentalen Préludes überhaupt und definierte selbst: „eine freie Komposition, bei der die Fantasie all ihren Einfällen nachgibt“. Zu seiner Zeit war es auch üblich, dass die Kompositionen sich dem pädagogischen Zweck eher unterordneten (wenn nicht gar der „Gemüths-Ergötzung“ wie bei Bachs Partiten) und man die eigentlich bahnbrechenden Neuschöpfungen innerhalb von Traktaten veröffentlichte – so auch bei Couperin, der die acht Préludes in seinem Heft „L’Art de toucher le Clavecin“ zur Veranschaulichung veröffentlichte.

Olivier Messiaen (1908-92) wiederum war seit seiner Kindheit ebenfalls als Erfinder und Schöpfer per se in seiner eigenen Musik tätig – seine Neugier und sein Glaube ließen ihn neue Skalen (Modi) erfinden, er hörte der Natur ihre ganz eigenen Rhythmen ab, etwa in Vogelstimmen, und selbst wenn man noch in diesen frühen Préludes die französischen Vorbilder hört, ist schon der große Atem und die Weite von Messiaens kompositorischem Stil deutlich geprägt. Bei weitem sind diese Stücke keine Aphorismen mehr, sondern schon elegant angelegte kleine Tondichtungen, bei denen die Farbe und Farbentwicklung (Messiaen war Synästhet) unauffällig im Vordergrund steht. Ohne, dass man darauf hingewiesen werden muss, entwickeln sich Vorstellungen von Licht, Helligkeit, Schatten oder Farbspielen beim Zuhören.

Die Pariser Kompositionsklasse von Paul Dukas, die Olivier Messiaen (ganz rechts) 1930 abschloss.

Und da ist es außerordentlich spannend zu hören, wie Imorde es schafft, dass beide Zyklen aus ihrer eventuell vom Komponisten vielleicht ’simpel‘ erdachten Intimität heraustreten und jedes Stück zu einer kleinen Perle werden läßt, ohne allerdings diesen die romantische Attitüde des 19. Jahrhunderts überzuwerfen. Gerade die betitelten Stücke aus weiteren Bänden der – insgesamt 230 Stücke umfassenden! – Klaviermusik von Couperin weisen zwar eine deutliche Erzählthematik oder einen angepeilten Charakter auf, die Entwicklung der Stücke verläuft dann aber auch in einer Art parlierendem Recitando oder in den zur damaligen Zeit üblichen Formen, die etwa Tanzsuiten entlehnt sind. In ihrem regelrechten „Vergraben“ in den Couperin-Stücken fand Imorde dann auch noch Kompositionen, die fast perfekt auf Messiaens Stimmungsbilder antworten – wie „Les Petits Moulins à Vent“ zu Messiaens „Un reflet dans le vent“. Passend ist auch das Artwork der CD: der Titel, Nikolaj Lunds Bilder und die Malereien beziehen sich auf Le Corbusiers Farbenlehre, der ja in seiner „Polychromie Architecturale“ 1931 erstmals ein umfassendes, harmonisches Farbsystem für die Architektur entworfen hat.

Luisa Imorde beim Release-Konzert der CD im Bösendorfer-Salon Wien, 3. Mai 2022

Schließlich hat „Polychromie“ noch einen weiteren Aspekt, der sich beim kompletten Hören erschließt: es ist eine höchst geistvolle Unterhaltung, die sich da entspinnt. Zwei Komponisten, eine Pianistin und – hoffentlich viele – Zuhörer:innen sitzen da im herrlichsten Orange-Hellblau und erfreuen sich an wirbelnden Noten, Tic-Toc-Trillern (nein, diesmal geht es nicht um die kurzlebigen Videos) oder ausgebreiteten Landschaften, Windgeräuschen und Glocken. Toll, was der Bösendorfer unter Luisa Imordes Händen da zaubern kann. Und dankbar vernimmt man das Engagement für zwei Komponisten, die viel mehr gespielt und beachtet werden sollten – Luisa Imordes Entdeckergeist liebäugelt jedenfalls schon mit den großen Klavierzyklen, die Messiaen ja später verfasst hat…

Luisa Imorde
Polychromie, couperin & messiaen

François Couperin: 8 Préludes aus “L’Art de toucher le clavecin“ (1716-1717) “Pièces de clavecin” (1713-1730) (Auswahl)
Olivier Messiaen: Huit Préludes (1928 / 29)
2022 Berlin Classics, produziert in Kooperation mit Deutschlandfunk Kultur, erschienen am 6.5.2022

 

 

Fotos: wikimedia commons (2), Berlin Classics (cover), Monika Schwarz (1)

 


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