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Tönen und Toben

Gatti dirigiert Mahler im Kapell-Konzert

Im 12. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden stand nur ein sinfonisches Werk auf dem Programm – es ist auch schwerlich vorstellbar, der ohnehin gut achtzigminütigen 9. Sinfonie D-Dur von Gustav Mahler überhaupt ein Stück zur Seite zu stellen. Die Musik ist so existenziell-bewegend, dass man nach dem Verlöschen des 4. Satzes auf jeden Fall einiges an Stille zur Verarbeitung benötigt. Diese Stille stellte sich nach der Aufführung am Sonnabendvormittag in der Semperoper unabgesprochen ein, und sie zeigte eindrucksvoll, wie eine starke musikalische Äußerung nachwirken kann. In der Sinfonie geht es, wie immer bei Mahler, um die Beziehung von Mensch und Welt, um philosophische Ansichten zur Natur, zum Werden und Vergehen – und das alles in Tönen. Und natürlich kündet die Sinfonie auch von der Lebenslinie ihres Schöpfers, der zwar auch in hellen Zeiten Dunkles zu formulieren mochte (wie in der 6. Sinfonie), aber hier rufen die in ihm kreisenden Themen von einem krankendem Körper, der komplizierten Beziehung zu Alma und dem Ringen um den beruflichen (Wieder-) Erfolg jenseits des Atlantiks geradezu aus der Partitur.

Was da im herrlichen Südtiroler Pustertal bei Toblach – dem dritten Komponierhäuschen, das Mahler ab 1908 bezieht – in weitgehender Abgeschiedenheit entsteht, ist weder eine „Ode an die Freude“ noch ein hymnisches Bejubeln der „Neuen Welt“. Diese Neunte ist ein grandioser viersätziger Abgesang des Komponisten, teilweise auch eine Abrechnung mit einer Welt, die zwar noch zu tönen und zu toben in der Lage ist, aber fünf Jahre vor Ausbruch des 1. Weltkrieges vielfach ihre Leere und Abgründe zeigt. Näher als in Mahlers 9. Sinfonie liegen selten Schönheit und Hässlichkeit, innerer Friede und äußerer Kampf beieinander. Feinste melodiöse Erfindungen stehen neben harmonischen Zerrungen und Höhepunkten, die plötzlich in steinbruchartiges Nichts abbrechen.

Das Stück erfordert keine virtuosen Höchstleistungen, aber ein emotional-musikalisches Verständnis und eine große Palette des Ausdrucks, um nach innen in die Partitur vorzudringen. Mit der Musik von Gustav Mahler ist der Italiener Daniele Gatti besonders vertraut, und er hat diese schon mehrfach mit der Staatskapelle aufgeführt. Dass dieses 12. Sinfoniekonzert nicht nur einfach ein weiteres Konzert mit dem hier beliebten Dirigenten war, lag an der kurz zuvor erfolgten Wahl des Italieners zum künftigen Chefdirigenten des Orchesters. Gatti verbindet damit eine besondere Ehrung – im Konzert war vor allem die freundschaftliche Verbundenheit zu spüren, aber auch eine Anspannung, die Gatti aber mit positiver Motivation unterstützte. Auswendig dirigierend setzte er wichtige Impulse, die rhythmisch wie in der Geste „sitzen“ und vor allem die Intensität des bereits Geprobten noch einmal befragten und beförderten.

So kam es zu vielen betörenden und auch überraschenden Momenten in allen Orchestergruppen, sei es vom Solohorn (Robert Langbein), der plötzlich insistierenden Posaunengruppe oder den über allem schwebenden Linien der Pikkoloflöte. Gatti schaffte es auch, die große Architektur in Spannung zu halten; dazu gehörte auch ein Innehalten nach dem 3. Satz, der „Rondo – Burleske“, die Gatti quasi mit Mahler gemeinsam mit voller Absicht im Schlussfortissimo gegen eine imaginäre Wand schleuderte: ein falscher Weltentrubel offenbarte sich da in den ziellos kreisenden Fugati und „trotzig“ formulierten Motiven. Während man in diesem Satz nur noch einer Farce zusieht, gesteht Mahler sich selbst (und den Hörern) noch einiges an kämpferischem Dialog im 1. Satz zu. Gatti nahm – nach dem eindrücklich nach dem „Wohin“ fragenden Beginn der Sinfonie – hier starke Dehnungen in die Höhepunkte vor, die die Schwere der Thematik unterstrichen.

Doch übersteigerte Dramatik gab es in dieser Aufführung nicht, vielmehr lag der Augenmerk Gattis bei den extremen Farben der Harmonien und Instrumentierung, die Mahler eigentlich auch vorgibt, die aber selten genug in solch plastischer Schärfe erklingen: so war etwa der zertropfende Schluss des 1. Satzes wie eine Rückenansicht der Musik sehr genial ausmusiziert. Auch die Ländlermelodien im 2. Satz erklangen nicht als oberflächlich-theatralische Darstellung, sondern seriös, zu Mahlers Welt(en) unbedingt zugeordnet. Gattis leichte Strenge im Metrum war hier zwar etwas irritierend, aber vielleicht ist es genau dieser Rahmen, in den diese besondere Musik hineinmuss, um nicht zur Karikatur abzugleiten.

Der vierte Satz mit seinem einzigartigen Adagio-Verwehen hingegen muss das Vorher der Musik einbeziehen, aber gleichzeitig eine neue Welt jenseits von allem Bekannt-Bequemen erschaffen. Das war offenbar in der positiven Aufregung der neuen Beziehung zwischen Dirigent und Orchester dann etwas zu viel, da hier und da einige Intonationen und Einsätze wackelten. Doch gerade der Beginn des Adagios überraschte in seiner klaren Körperlichkeit im Klang, der auch noch in die warm tönenden Höhepunkte mitgenommen wurde, bevor am Ende Mahlers mehrfaches „ersterben“ nicht nur musiziert, sondern auch gefühlt wurde – das kam über die Rampe. Daniele Gatti und die Sächsische Staatskapelle wurden am Ende mit stehenden Ovationen gefeiert.

Fotos (c) Matthias Creutziger

 


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