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Blankgeputzter Beethoven, verpuffter Brahms

Tugan Sokhiev und Julia Fischer im Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden

Gesundheitliche Probleme wurden mitgeteilt, die Christian Thielemann die Leitung des 4. Sinfoniekonzertes der Sächsischen Staatskapelle und die daran anschließende Tournee versagten. Die Rettung des Projekts barg dann mehrfache Überraschungen, denn gleich zwei Dirigenten übernahmen die Leitung und geben sich nun sowohl in der Semperoper als auch auf der Tournee die Klinke in die Hand: Tugan Sokhiev und David Afkham, beides sehr angesehene und mit der Kapelle bereits erfahrene Dirigenten.

Die Solistin und derzeitige Capell-Virtuosin Julia Fischer hingegen bot nicht nur ihr ursprünglich geplantes Mendelssohn-Violinkonzert an, sondern bot für das erste Konzertprogramm sogar ein weiteres Solo-Konzert an, nämlich das Violinkonzert Opus 61 von Ludwig van Beethoven, somit erwartet die Besucher der Tournee bei den Doppelkonzerten gar ein kleines Julia-Fischer-Festival. Am Sonntagvormittag nun dirigierte der Russe Sokhiev, der ohnehin dann zum kommenden Sinfoniekonzert im Dezember zurückerwartet wird, Beethoven und Brahms – ein klassisches, ja, ein Klassikerprogramm, was natürlich beim Orchester in bestbewährten Händen lag. Aber die Tücke – oder positiv formuliert: die Aufgabe – liegt ja auch darin, solche Meisterwerke zu neuem Leben in einer besonderen Interpretation erwachen zu lassen.

Bei Ludwig van Beethoven musste man eine solche eventuell am Sonntag mit der Lupe suchen, und das ist nicht einmal ein Vorwurf, denn das möglicherweise „Neue“ lag hier schon darin, die vielen Facetten und Charaktere des berühmten Konzertes auf natürliche Weise hervortreten zu lassen. Ob das reichen würde? Julia Fischer war in ihrem Part mit schönem Ton und tadelloser Phrasierung dabei, das Orchester zauberte seine bekannten Goldfarben hinzu. Ein Beethoven, wie ihn alle mögen und schätzen also. In den Kadenzen der Ecksätze zeigte Julia Fischer ansatzweise ein „Mehr“, das im ganzen Konzert möglich gewesen wäre, nämlich ein Spiel, das mehr Risiko und Zugriff vertrug. Dass Sokhiev in der Orchesterbegleitung meist auf rhythmische Sorgfalt setzte und live ausbalancierte, hielt zwar den Kapellladen gut zusammen, trug aber zu einer Zerfaserung bei. Die Leidenschaft, die bei Fischer erneut in der Paganini-Zugabe aufblitzte, fehlte eigentlich im Violinkonzert komplett, dieser Beethoven war einfach blitzeblankgeputzt und vor allem im 2. Satz schön ausgehört.

Dementsprechend gespannt war man auf die 1. Sinfonie von Brahms, allein die Kombination dieser vielschichtig zusammenhängenden beiden Werke darf ja schon als Klassiker bezeichnet werden. Sokhiev legte gleich mit einem plötzlichen Vorhangaufriss los, der aber die Paukenlinie seltsam vom Boden löste und das folgende Thema der Einleitung völlig distanzierte. Der erste Satz geriet bei Sokhiev recht dramatisch, mit hartem Tutti-Klang und unter Armdruck geschobenen Crescendi, so dass sich unschöne Klangfarben einmischten. Am Ende des 1. Satzes stimmt dann die Balance nicht mehr. Das setzte sich im zweiten Satz, der zunächst gut begann, fort: Sokhiev verlor recht schnell in seiner Sorge um die Details die Übersicht, am Ende des Satzes stand wieder ein lauter Gesamtklang und ein intonatorisch wackliger Schluss.

Der 3. Satz war dann auch noch in seinen vielen, immer neu angeschlagenen Tempi ungenau, ein grazioso stellte sich einfach nicht ein. Trost kam von Zoltán Macsáy am 1. Horn im Finale, der das Semperrund sofort mit seinem schönen Ton des berühmten „Schweizerthemas“ füllte. Sokhiev fehlte aber hier nun die Ruhe, die Brahmssche Pracht mit Überlegung und vor allem vertrauendem Loslassen auszuformen. Noch vor dem Schluss war eigentlich schon Schluss, weil Sokhiev sein ganzes Feuerwerk da bereits verbraucht hatte. Letzlich war da viel Temperament im Orchester und ebensoviel dirigentische Ausgestaltung zu beobachten, aber zu einem tieferen Zusammenhang oder gar einer Aussage war die Musik diesmal nicht gelangt.

  • Im 2. Programm des 4. Sinfoniekonzerts dirigiert David Afkham ein reines Mendelssohn-Programm, Julia Fischer spielt dann das Violinkonzert e-Moll, Opus 64 (Dienstag noch einmal um 20 Uhr, es gibt noch Restkarten)
  • Das Programm am 15. November wird ab 20.05 Uhr live bei MDR Kultur und MDR Klassik übertragen.
  • Julia Fischer wird im Rahmen ihrer Ernennung als Capell-Virtuosin am 9. Februar 2023 erneut in der Semperoper auftreten – bei ihrem Solo-Recital spielt sie ausschließlich Werke von Johann Sebastian Bach.

Fotos (c) Markenfotografie

 


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