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Opulentes Orchestergemälde

„Pelleas und Melisande“ von Schönberg bei der Dresdner Philharmonie

Man kann ja von Glück sagen, dass Musikkritiker zwar viel erzählen können, aber selten Wirkungsmacht haben. 1905 empfahl ein solcher in Wien, den Komponisten Arnold Schönberg außer Reichweite von Notenpapier zu bringen. Anlass war tatsächlich die Uraufführung der sinfonischen Dichtung „Pelleas und Melisande“, Opus 5, die Rezensenten befürchten ließ, Schönberg sei endgültig übergeschnappt. Dabei hatte der eigentlich nur die Erfolgsstorys von Brahms, Mahler und vor allem der erfolgreichen Strauss’schen Tondichtungen weitergedacht.

Während Schönberg ein 45-minütiges Opus nach Maurice Maeterlincks Dichtung entwarf, ist in der „Passacaglia“ des jüngeren Anton Webern drei Jahre später schon dessen Vorliebe zur Konzentration spürbar. Beide Werke wurden am Sonnabend im Sinfoniekonzert der Dresdner Philharmonie aufgeführt und rückten damit spätromantische Opulenz und kontrapunktische Verschlingungen in den Mittelpunkt. Webern gelingt die Komposition geschickt und sogar ohne dramatische Literaturvorlage, gleichzeitig markiert das zehnminütige Stück aber auch seinen Abschied vom spätromantischen Komponieren.

Der Finne Jukka-Pekka Saraste, ehemals Chef beim WDR Sinfonieorchester, sorgte für eine gute Balance bei den Philharmonikern, so dass das fassliche Thema deutlich durch alle Stimmen gereicht wurde. Dass inmitten dieser Orchestergemälde Ludwig van Beethovens 4. Klavierkonzert in G-Dur platziert wurde, erwies sich als schöner Kontrast, aber auch sinnfällige Ergänzung, denn auch hier lädt sich die Musik wie eine Erzählung auf, scheint das Klavier mit dem Orchester wie in kaum einem anderen Konzert von Beethoven tatsächlich zu sprechen. Wer auch immer dieses Konzert spielt, muss einen Sinn für die Besonderheiten entwickeln, und die liegen gleich in den ersten Takten, die der Pianist alleine entwickeln muss, bloß.

Der israelische Pianist Boris Giltburg gastierte schon oft bei der Dresdner Philharmonie und hat erst jüngst eine Gesamtaufnahme aller Beethoven-Sonaten eingespielt. Im 1. Satz des Konzerts formulierte er eine deutliche Präsenz im Ton, und gab damit manchmal den Melodiephrasen ein bisschen zuviel Bedeutung hinzu, der Beginn war beinahe lakonisch, trocken formuliert. Im zweiten Satz spürte Giltburg dem modernen Beethoven nach, dieser Satz blieb ein rätselhaftes dialogisches Statement: es ist ein Hell- und Dunkelspiel zwischen Orchester und Solist, ein auskomponierter Zwischenraum zwischen den wichtig tönenden Ecksätzen. Im dritten Satz gibt es kurz Aufregung, weil alle samt Giltburg im Kehraus-Modus etwas zu flott begannen, was nicht ganz durchhaltbar war. Saraste begleitete ansonsten das Nötigste und überließ außer im klar gefassten zweiten Satz die Ausgestaltung im Orchester eher den Musikern. Für die pointierte Interpretation erhielt Giltburg großen Applaus und bedankte sich mit dem Prélude Gis-Moll von Sergej Rachmaninov.

In der Schönberg-Tondichtung fand Jukka-Pekka Saraste vor allem eine gute Tempo-Basis, die tragend für das Stück wirkte, das immerhin ohne Punkt und Komma das komplette Drama in allen Details nacherzählt, wenngleich man die Protagonisten im Kontrapunktdickicht manchmal in einer versteckten Nebenstimme einer gestopften Trompete oder im Englisch-Horn auffindet. Die Philharmonie zeigte sich versiert und natürlich auch hier einmal mit Können groß auftrumpfend, dabei brauchte es gute Konzentration, um des Komponisten plötzlich herausfahrende Äußerungen mutig in den Saal zu posaunen. Dass am Ende ein flüssig musizierter, hitziger Rausch eines doch kühl agierenden Dirigenten als Fazit im Raum stand, ist durchaus kein Widerspruch, doch etwas mehr Feinsinnigkeit (sozusagen mehr Beethoven im Schönberg) wäre dann noch die Krone dieses fordernden und vielschichtigen Konzertes gewesen.

Foto (c) Alexander Keuk

 


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