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Ein Orchesterjubiläum zum Lesen und Hören

Festschrift und CD-Box erscheinen zum 475. Geburtstag der Staatskapelle Dresden

Jubiläen sind nicht nur freudige Anlässe zum Feiern, sie erhöhen auch die Aufmerksamkeit und lassen eine wissenschaftliche oder dokumentarische Auseinandersetzung zu, die im besten Fall bereichernd die Sinne für den Jubilar schärfen. Im Fall der Sächsischen Staatskapelle Dresden war diese Begleitung schon bei den letzten runden Geburtstagen gegeben, zuletzt 1998 durch die Veröffentlichungen des damaligen Konzertdramaturgen der Staatskapelle Dresden, Eberhard Steindorf. Nun heißt es aber statt „Glanz von altem Gold“ auf dem Titel „Goldglanz und Schattenwürfe“, und die neue Jubiläumsschrift trägt zwar noch die Goldborde, kommt aber in reinem Weiß daher.

Das Cover der Festschrift „Goldglanz und Schattenwürfe“

Anstelle die bekannte und aufrufbare Geschichte zurück bis zu Moritz von Sachsen 1548 von Neuem aufzublättern, konzentriert sich die Festschrift, die unter der Ägide von Christoph Dennerlein und Michael Märker beim Verlag Kamprad herausgegeben wurde, auf die letzten einhundert Jahre Kapellgeschichte. Es sind – neben Grußworten von Christian Thielemann und dem „treuen Freund“ Herbert Blomstedt – lediglich vier Beiträge, die aber mit der Ära Fritz Busch (Susanne Popp), der Nazizeit (Sören Frickenhaus/Wolfgang Mende) und der DDR-Historie bis 1990 (Friedemann Pestel) wichtige Kapitel der neueren Zeit beleuchten, was auf einem spürbar musikwissenschaftlichen und durchaus auch kritischen Niveau geschieht, aber dennoch für den interessierten Laien lesbar und erhellend ist.

Die Perspektive der Jahrhundertrückschau erscheint insofern interessant, als dass die Aufarbeitungen zur Nazizeit als überfällig zu bezeichnen sind – die viel beachtete Ausstellung „Verstummte Stimmen“ in der Semperoper liegt immerhin schon zwölf Jahre zurück. Wie schnell auch das Orchester in das nationalsozialistische System eingebunden war und Dirigenten, Komponisten und Musiker im Wortsinn bis weit über das Ende des zweiten Weltkrieges hinaus mitgespielt haben, das ist nicht nur als Erinnerungsarbeit wertvoll, sondern hinterläßt auch anläßlich heutiger sichtbarer Fahrlässigkeiten und Wegguckerein im Umgang mit zerstörerischen Kräften am gleichen Ort beim Lesestudium ein mulmiges Gefühl. Indes scheint die Distanz von gerade einmal dreiundzwanzig Jahren zum Ende der kommunistischen Diktatur geeignet, auch dort einen nüchternen Blick anzubringen, und gerade jüngeren Generationen die Besonderheiten des Orchesters zu DDR-Zeiten nahezubringen.

Und da die Staatskapelle seit dem technischen Beginn der Aufnahmemöglichkeiten ihren Klang und ihr Wirken in Oper und Konzert auf unzähligen Magnetbändern, Schallplatten und CDs verewigt hat, ist der Beitrag des ehemaligen Kapelldramaturgen Tobias Niederschlag im Wortsinn Gold wert, denn wer weiß schon, dass schon in den 30er Jahren, lange vor den Rundfunkgeschichte schreibenden Aufnahmen etwa von Herbert von Karajan, Carlos Kleiber und Marek Janowski  im Studio in der Lukaskirche ganze Bruckner-Sinfonien auf der für diesen Zweck umgebauten Semperopernbühne aufgenommen wurden?

Unbedingt sollte spätestens ab der Lektüre dieses Beitrags die CD-Jubiläumsedition der seit Jahren in puncto konservierter Kapellklang herausragend tätigen „Edition Staatskapelle Dresden“ des Labels Profil/Hänssler hinzugezogen werden. Auf insgesamt 10 CDs ist die Aufnahmegeschichte des Orchesters hörend nachzuvollziehen, und es ist wirklich zu empfehlen, sich einmal von den knisternden Anfängen mit der ersten Aufnahme des Orchesters aus dem Jahr 1923, damals noch im Palast-Hotel Weber neben dem Schauspielhaus unter Leitung von Fritz Busch eingespielt über Aufnahmen mit Richard Strauss am Pult des Orchesters bis zur Ära Thielemann hörend vorzuarbeiten. Im Repertoire bilden die Hausgötter Weber, Wagner und Strauss natürlich den Schwerpunkt, manche Rarität (Elgar, Janáček) ist vertreten, neue(re) Musik jedoch sucht man hier vergeblich.

Man erhält ein ganzes Jahrhundert spannende Rundfunk- und Technikgeschichte, aber auch Einblicke in die Persönlichkeiten und Vorlieben der Kapellchefs, die ihre Zeit und das Ensemble sehr unterschiedlich prägten. Hervorzuheben ist hier, dass es sich um viele echte Schätze handelt, nämlich auf Tonträgern bislang unveröffentlichte Aufnahmen aus den Rundfunkarchiven –Herbert Blomstedts parallel in der Lukaskirche eingespielte Vierte von Bruckner aus dem Jahr 1981 erklingt hier etwa in der Radioaufzeichnung aus dem Live-Konzert im Kulturpalast und läßt ebenso aufhorchen wie eine wunderbar homogene Brahms-Sinfonie mit Giuseppe Sinopoli oder die temperamentvollen Keilberth-Aufnahmen, während man bei Rudolf Kempe ebenso über die Entdeckung der Langsamkeit staunt. Und schließlich ist das Booklet (mit Texten von Michael Ernst) auch ein spannender Miniaturbildband, der noch einmal das letzte Kapell-Jahrhundert Revue passieren läßt.

 

 

 

 

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Veröffentlicht in Dresden Rezensionen

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