Von Dresden in die Welt – Petr Popelka wird Chefdirigent der Wiener Symphoniker
Wenn man nach langem Studien, vielleicht vielen Stationen in kleineren Ensembles und Stadtkapellen als Instrumentalist eine Stelle in einem so herausragenden Orchester wie der Staatskapelle Dresden erlangt, dann – so sagen manche – hat man ausgesorgt. Man spielt auf seinem geliebten Instrument Oper und Konzert und geniesst wunderbare Musikerlebnisse, die Erfüllung des Lebenstraums ist da für viele perfekt. Doch es gab und gibt auch immer wieder Künstlerpersönlichkeiten im Orchester, die vielleicht gerade durch die Qualitätsansprüche und die Kommunikation mit den anderen Musikern erst recht ihre kreativen Potenziale entdecken und tatsächlich noch anderes Terrain entdecken wollen. Beispiele dafür gibt es viele, Cellist Jan Vogler etwa ist Intendant der Musikfestspiele, Isang Enders entschloss sich zu einer solistischen Karriere, und Gaetano d’Espinosa leitet heute am Haus erfolgreiche Opernproduktionen.
Der in Prag geborene Kontrabassist Petr Popelka landete nach seinem Studium in Freiburg schon mit 23 Jahren in der Staatskapelle Dresden. Im Gespräch erzählt er von diesen wertvollen Erfahrungen in jungen Jahren, erwähnt aber auch, dass er auch komponiert, Klavier spielt und immer den Traum zu dirigieren hatte. In Dresden konnte er dazu erste Schritte unternehmen: Im neu entwickelten Format „Kapelle 21“, das sich in kammermusikalischen Formationen der zeitgenössischen Musik widmete, leitete er Konzertabende und betont im Gespräch die Unterstützung seiner Musikerkollegen bei seinen Vorhaben, die quasi noch im geschützten Raum der Kapellumgebung stattfanden.
Popelka nahm ein Urlaubsjahr und dann entwickelten sich die Dinge rasant – nach einem Dirigierwettbewerb erhielt er die Anfrage des Norwegischen Rundfunkorchesters Oslo, die gerade einen neuen Chefdirigenten suchten. „Manchmal war ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort, und die Position in Oslo war wunderbar, ich wurde sehr freundlich aufgenommen.“ Nach Gastdirigaten in seiner tschechischen Heimat interessierte sich dann auch das Prager Rundfunkorchester für den charismatischen Dirigenten, 2022 wurde er auch dort zum Chefdirigenten ernannt. Damit legte Popelka den Kontrabassbogen vorerst zur Seite, und 2020 war in Dresden – zumindest im Orchester – Schluss. Längst weiß der geneigte Leser, dass Popelka der Staatskapelle Dresden weiterhin eng verbunden ist und etwa mit Dmitri Schostakowitschs Oper „Die Nase“ 2022 im Graben der Semperoper in Dresden einen großen Erfolg feierte.
Popelka lebt in Prag, sieht sich aber mit vollem Herzen als Europäer. So kann er auch die unterschiedlichen Mentalitäten seiner Orchester gut beschreiben, denn während die Norweger mit hohem Respekt und Freundlichkeit agieren, geht es in Prag meist emotionaler zu, „in Prag diskutiert man auch gerne einmal herzhaft über die Striche und Interpretationen – aber es geht immer um das beste Ergebnis“. Nun betritt Popelka das nächste Parkett, denn nach mehreren Zusammenarbeiten haben ihn die Wiener Symphoniker zu ihrem nächsten Chefdirigenten ab der Saison 2024/2025 erkoren.
In Wien trifft Popelka auf einen alten Bekannten aus Dresden, denn als Orchesterdirektor ist Jan Nast tätig, der über siebzehn Jahre die Geschicke bei der Staatskapelle Dresden leitete. Nast und Popelka blicken in Wien mit viel Leidenschaft in die Zukunft – „Wien biete eine historische Fülle“ der Musik und die Symphoniker sehen sich als aktive Botschafter in der Hauptstadt der Musik, in der von Mozart und Schubert über Mahler und Zemlinsky, aber auch Beethoven und Brahms alle ihren Platz bekommen, so auch die Jubilare 2024, Anton Bruckner und Arnold Schönberg.
Popelka hat in Prag das Schönberg-Jubiläum schon einmal vorgezogen und im Juni eine umjubelte Aufführung der monumentalen „Gurre-Lieder“ im Prager Nationaltheater geleitet. Der Dirigent fühlt sich eng mit der zweiten Wiener Schule und der zeitgenössischen Musik verbunden. Gerade für jüngere Menschen brauche es leidenschaftliche Uraufführungen: „Wenn ich als Musiker nicht selbst an die Stücke glaube, wer dann?“ Jan Nast sieht sich bei den Wiener Symphonikern als Dienstleister für eine moderne Gesellschaft – in Verbindung mit dem Europäer Popelka, der mit überwältigender Mehrheit auch vom Orchester gewählt wurde, dürfte das Orchester spannenden Zeiten entgegensehen. Bereits im November dieses Jahres steht Popelka in Wien wieder am Pult und leitet am Theater an der Wien die Oper „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ von Jaromir Weinberger. Bleibt nur noch zu hoffen, dass der die Kulturen verbindende „Vindobona“-Zug zwischen Dresden, Prag – nicht zu vergessen Brünn! – und Wien erhalten bleibt…
- Arnold Schönbergs „Gurre-Lieder“ in der Prager Aufführung vom 20.6. kann man bei Radio Vltava im Audio-Player anhören. Es spielt das Prager Rundfunkorchester und das Norwegische Radioorchester Oslo gemeinsam mit Solisten und Chören aus Brno und Bratislava unter der Leitung von Petr Popelka
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