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In schockierender Direktheit

Dmitri Schostakowitschs 8. Sinfonie im Gedenkkonzert der Dresdner Philharmonie

Neben dem stillen Gedenken an und in der Frauenkirche versammeln sich die Dresdner am Abend des 13. Februar in den Kirchen und Konzertsälen der Stadt, um dem Anlass entsprechende Musik der Dresdner Orchester und Chöre zu hören. Beim Konzert der Dresdner Philharmonie im Albertinum musste man sich über sehr gelichtete Reihen im Auditorium wundern – da dieses Konzert nicht innerhalb der Anrechte gelistet war, hatte man wohl auf selbstverständliches Interesse gesetzt – schade, dass am Ende nur ein Drittel des Albertinums gefüllt war. Auch für die Musiker auf der Bühne war dies keine leichte Situation.

Dass das Programmheft keinerlei Informationen zur Tradition der Gedenkkonzerte oder zur besonderen Dramaturgie des Abends aufwies, konnte ebenfalls als Manko empfunden werden. Anstelle etwa für eine vokalsinfonische Requiemkomposition entschied sich die Philharmonie für die 8. Sinfonie c-Moll, Opus 65 von Dmitri Schostakowitsch. Geschrieben im Sommer 1943 rückte damit ein Stück in den Blickpunkt, mit dem der Komponist unmittelbar auf die Kriegsereignisse reagiert hat.

Es ist ein in 40 Tagen niedergeschriebener Wurf – ein sechzigminütiger dramatischer Monolog, der von den ersten Takten an keinen Zwischenruf zuläßt. Diese Sinfonie ist kein Werk zum Nebenbeihören, sie ist schonungslos und gellt dem Hörer mit emotionsgeladenen Ausbrüchen und brutaler Motorik in den Ohren. Des Komponisten eigene Aussagen zu einer Musik über die „Gedanken anläßlich der Siege der Roten Armee“ sind zu vernachlässigen – Schostakowitsch hat mehr als einmal Dinge sagen müssen, die ihm letztlich seine künstlerische Haut gerade noch einmal gerettet haben. Was diese Sinfonie mit äußerster Kraft formuliert, ist nicht weniger als ein Fanal gegen den Krieg, gegen Gewalt und Unmenschlichkeit überhaupt.

Chefdirigent Michael Sanderling wählte ein kurzes, aber sinnfälliges Präludium mit Arvo Pärts „Cantus in memoriam Benjamin Britten“. Das kurze Stück für eine Glocke und Streicher war geeignet zuhörend zu einer Ruhe zu finden, die nötig ist, um Schostakowitschs Opus überhaupt aufnehmen zu können. Sanderlings Interpretation der Sinfonie war von einer nur als schockierend zu empfindenden Direktheit bestimmt, die aber den melodischen „Text“ des Stückes nie vernachlässigte.

Das war gleich im ersten Satz spürbar, den Sanderling von Beginn an intensiv mit dem Wissen um den späten, brachialen Höhepunkt musizieren ließ, dem dann das mit viel Seele musizierte große Englisch-Horn-Solo (Isabel Kern) folgte. Für solch individuelle, starke Äußerung ist danach erst wieder im 5. Satz Platz. Derweil stellen die Mittelsätze die Welt auf den Kopf – kein Stein bleibt in diesen „Scherzi“ auf dem anderen.

Sanderling wählte für das Allegretto ein meist schnelles Tempo, bei dem der bohrend scharfe Charakter gewahrt blieb. Ähnlich forciert, aber zumeist kontrolliert und auch dynamisch deutlich abgestuft wurde die groteske Maschinerie im 3. Satz gezeichnet. Nach den ohrenbetäubenden Ausbrüchen am Ende dieses Satzes beruhigte sich in der Passacaglia die Musik, ohne dass irgendein Verlust der Spannung zu bemerken war. Der letzte Satz verheißt bei Dmitri Schostakowitsch keinen endgültigen Trost, es ist zu früh für eine Hoffnung oder eine Vision. Was sich da im Fagott fast mozartesk entfaltet, bleibt eine Ahnung; der ermattet wirkende Schluss will nicht auf das Ruhe verheißende C gelangen, harmonische Fragezeichen stehen im Raum. Nach dieser sehr bewegenden Aufführung war Gelegenheit zum stillen Gedenken – und zum intensiven Nachwirken dessen, was uns Dmitri Schostakowitsch durch seine Töne mitgeteilt hat.
(15.2.14)

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