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Pyro-Musik

Ein Kompositionswettbewerb bringt mich doch gerade arg ins Nachdenken: Mega-Musik-Feuerwerke möchte die „Pyromusikale“ Berlin veranstalten und schreibt dazu einen Wettbewerb aus, Zitate:

„Wir wollen beweisen, dass auch heutige Komponisten sinfonische Musik schreiben können, die ein Massenpublikum zu begeistern vermögen.“ **

„Stilrichtung: Dramatisch (für Feuerwerk!) und auf die eine oder andere Art „massenkompatibel“ – typische „Neutöner“ haben kaum Chancen.“ ***

„Die besten Chancen haben dramatische Kompositionen, die den musikalischen Horizont des “Normalverbrauchers” nicht gerade sprengen – also eher im Bereich anspruchsvoller Filmmusik als bei der Avantgarde angesiedelt sind.“ ***

„Er will beweisen, dass Musikfeuerwerke heute, wie schon zu Zeiten des Barock, eine ernstzunehmende Kunstform sind.“

Da drängen sich mir Fragen auf:
– warum werden inflationär Raketen in die Luft gejagt (in Dresden nahezu 2x an jedem Wochenende) und Natur-, Tier- und Lärmschutz und zum Teil auch Persönlichkeitsrechte mit Füßen getreten?
– wie kann man angesichts obiger Frage noch ruhigen Gewissens dafür Musik schreiben?
– wenn das eine „ernstzunehmende Kunstform“ sein soll, wieso wird dann diese Kunst sogleich reglementiert?
– wer, der seine Kunst ernstnimmt, braucht überhaupt ein Massenpublikum? – außer demjenigen, der die Massen organisiert, steuert und am Ende damit Geld verdient? [Der Gewinner-Komponist ist es jedenfalls nicht, 3000 Euro sind angesichts der Veranstaltungsgröße und des Aufwandes im absolut unteren Bereich anzusiedeln]

** Subtext1: Normalerweise sind Kompnisten dazu unfähig und haben ohnehin einen Sprung in der Schüssel. Wir wollen aber beweisen, dass Komponisten fast ganz ohne Hirn auch Musik für Publikum ohne Hirn schreiben können.
*** Subtext2: Fahrstuhl-Muzak bitte. Am besten die Telekom-Erkennungsmelodie auf 160dB in ca. 400 Feuerwerk-Loops für doppelte Elektra****-Besetzung instrumentiert, natürlich spielen alle mit Verstärkung. Das haut schön rein.

**** zur Erklärung, falls einer der Veranstalter hier mitliest: dies ist eine Oper von Richard Strauss, der Stoff ist aus der griechischen Mythologie. Nicht für Feuerwerke tauglich, geistiger Horizont wird deutlich überschritten.

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Veröffentlicht in Weblog

16 Kommentare

  1. ich bin sehr erleichtert über deine einstellung dazu!

  2. Debby Debby

    Na dann schreib dem Veranstalter doch mal, wie du das „händeln“ würdest 😉 Da da wohl eher eine Feuerwerksfirma hintersteckt (man lese die Homepage) ist diese wohl eher froh über Wegweisung denn überrascht über destruktive Kritik. Mailadresse (von der Homepage abgeschrieben): info@pyromusikale.de
    mich würd’s freuen, vielleicht mal was von dir dort zu lesen (und vielleicht gar zu hören?)

    Liebe Grüße

    Die Debby

    • Ich kann mich schlecht für etwas einsetzen, was ich vom Grunde her ablehne. Ich denke nur, dass die Formulierungen nicht unbedingt dazu angetan sind, Offenheit, Verstehen und Zugang zu neuer Musik gleich welcher Couleur zu fördern. Ich wage sogar zu behaupten, dass man die Eingrenzungen gar nicht braucht und etwa ein Feuerwerk zum 2. Teil von Strawinskys Sacre, von Birtwistles „Earth Dances“ oder zu Varéses „Ameriques“ eine echte Herausforderung wäre, das auch ein (großes! – In DD war vor einiger Zeit Amériques-Aufführung fast ausverkauft) Publikum begeistern könnte. Grüße zurück!

      Musik von mir gibt es übrigens wieder am 17.1. im Rahmen der 1. Dresdner Chorwerkstatt zu hören.

    • Debby Debby

      Die Möglichkeit, ein komplett neues Werk einer breiten Öffentlichkeit vorstellen zu dürfen, ist auf jeden Fall interessant. Wenn auch Feuerwerk nicht unbedingt jeden anspricht und ich deine Meinung dahingehend schon verstehen kann so bietet es mir doch eventuell die Möglichkeit, 2 Kunstformen einzigartig miteinander zu verbinden. Und mit „Kunstform“ meine ich jetzt feuerwerkstechnisch nicht das wilde „Herumgeballere“, welches man leider schon fast inflationär jeden Tag um sich herum beobachten kann. Bei Musik verhält es sich ja leider genauso. Die aktuellen Charts-Hits haben auch wenig mit Schaffenskunst musikalischer Natur zu tun den eher mit dem Wissen von Verbinden von Loops. Nun denn, jedem das Seine 😉

    • Hi Debby, dennoch scheint mir ein ziemlicher Graben zwischen dem zu liegen, was die WOLLEN oder sich musikalisch erhoffen und dem was musikalisch möglich ist. So Du mitmachst, wünsche ich Dir genau die richtige Balance dabei, viel Glück!

    • Debby Debby

      Danke 🙂 Übrigens: Nach Rückfrage beim Veranstalter (habe mal Interesse bekundet) scheint es doch ein musikalisch hochkarätiges Event zu werden, wenn man den Aussagen des Veranstalters überhaupt glauben schenken darf. Ich halte dich auf dem Laufenden, sowie ich Details geschickt bekomme. Liebe Grüße – Die Debby

    • hochkarätig? ach, haben die das Orchester ausgewechselt…? 😉

    • Debby Debby

      Hm, mit dem Orchester hatte ich mich noch nicht wirklich beschäftigt. Hast du denn negative Erfahrung mit dem Neuen Sinfonieorchester Berlin? Liebe Grüße – Die Debby

    • Das Etikett „hochkarätig“ verdienen wohl nur die vier großen Orchester in Berlin. Ein vor fünf Jahren gegründetes Operettenorchester mag aber für den Zweck durchaus ausreichen, zumal sicherlich keines der großen Orchester seinen Ruf durch eine Teilnahme an einem solchen Event beschädigen möchte, ein kleineres Ensemble aber durchaus damit glänzen kann.

    • Sehe ich auch so! 😉

      Sag mal, sehe gerade in der Sidebar „Der einarmige Pianist“. 🙂 Ist das gut?
      Ich hab nur „Der Mann, der seine Frau mit einem Regenschirm verwechselte“ (oder so ähnlich) gelesen. 😉

    • ich glaub für Nicht-Musiker wirkt es vermutlich noch spannender. Das ist halt ein Buch aus Neurologensicht, aber sehr verständlich geschrieben. Auch keine durchgehende Doku, sondern eher Fallbeispiele von seinen Patienten. Ich finde auf jeden Fall die Verbindung zwischen Musik und Gehirn sehr spannend und im Buch sind auch einige Phänomene gut erklärt, z.B. der „Ohrwurm“ 😉
      Ansonsten lies mal die Rezensionen bei amazon 🙂

    • ja, ein bißchen wie bei dem regenschirm, oder?

    • na, er ist halt Arzt und das sind Patientengeschichten. Insofern ist da stilistisch kein Unterschied, höchstens thematisch, weil er sich nun explizit musikalischen Phänomenen widmet.

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