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It’s me.

Freundlich grüßt der Herr von diversen Klassikseiten oder einem YouTube-Video. „Hello, it’s me, Carl Stamitz“ möchte man Adele dazu singen hören, ach – da steht es ja auch. Stamitz ist das, so sah er also aus. Mindestens auf ein CD-Cover hat er es auch schon geschafft. So beginnt eine kleine Recherchegeschichte, die ich deswegen hier aufschreibe, weil man daran trefflich sieht, in welche Untiefen und Schlaglöcher man selbst bei einer schnell-mal-Suche nach der Bebilderung eines Musiktextes geraten kann. Beim ersten Auffinden des Stamitz-Fotos im Netz äußerte sich zumindest bei mir schon ein leichtes Räuspern, denn die einfache Google-Bildsuche gibt zwar viele Fundstellen an, aber keine einzige mit einer vernünftigen Quelle oder einer musikwissenschaftlich und bildrechtemäßig „sauberen“ Seite mit Bildimpressum etc. – Auch das Bildformat ist zumeist klein und man sieht, dass das Originalbild zumeist ordentlich für die jeweiligen Zwecke zurechtgestutzt wurde.

Carl Stamitz, Scherenschnitt (im Besitz der Gesellschaft der Musikfreunde Wien)

Unter Musikern ist der Komponist Carl Stamitz zumindest ein Begriff, wenn nicht gar Musikgeschichtslernlektüre: ja, klar – Mannheimer Schule! Mozart hat ihn sogar besucht! Okay, korrekt wäre: Mozart war in Mannheim (da war Stamitz schon weg) und kurz danach auch in Paris (da war er auch schon weg, zumindest seinem Bruder Anton konnte Mozart noch einen Guten Tag wünschen, zeigte sich aber ansonsten nicht sehr begeistert von den elenden Notenschmier…äh, Brüdern.). Ein solches Hase- und Igelspiel scheint auch vorzuliegen, wenn man den unsteten Komponisten einmal im Porträt sehen will.

Genau dies ist aber auch einer der vielen Gründe, warum er heute selbst im digitalen Zeitalter kaum sichtbar ist: das unstete Leben hat nicht gerade viele Maler inspiriert, ihn für die Ewigkeit festzuhalten – was ja auch ein ordentliches Salär an den Porträtierer bedeutete, womit Stamitz nicht dienen konnte. Und selbst wenn es Bilder gegeben hätte, so hat vermutlich der Zweite Weltkrieg mit der Zerstörung von Mannheim 1943 sein Übriges zur Vernichtung oder Unauffindbarkeit getan.

Wer sitzt denn da am Clavichord?

Der erste Anlaufpunkt, die Google-Bildsuche, scheiterte dann aufgrund der vielen Stamitz-Treffer zum Bild – „it’s me, Stamitz“, sagte das Bild weiterhin und ich schraubte den Prozentsatz „Wahrheit“ leicht nach oben. Selbstverständlich beließ ich es nicht bei einer Internetrecherche (mittlerweile ist auch Tineye in den Bookmarks, das kannte ich noch nicht) und befragte erst mein dürftig gefülltes, dennoch brechend volles heimisches Musikbuchregal, sodann einen befreundeten Musikwissenschaftler, der mutmaßlich etwa vierzig solcher Regale hat. Auch das half nicht weiter, immerhin bekam ich ein paar (Papier!!) Literaturtipps, mit denen ich mich in die beste, schönste und größte Bibliothek der Umgebung aufmachte. Im „heißen Tipp“ des Kumpels lächelte mich zwar Vater Johann Stamitz milde von der Seite an, nicht aber Carl (Philipp). Fehlanzeige wiederum, obgleich ich mich in Wälzern wie „Musikgeschichte in Bildern“ noch nach einem Zufallstreffer sehnte. Immerhin könnte ich mit solchen heute kaum mehr erhältlichen Büchern Stunden verbringen, wenn man dort auf Preziosen wie Olliviers „Afternoon Tea at The Temple“ stößt.

Doch unverrichteter Dinge verließ ich die Bibliothek wieder. Jetzt half nur noch eines: #followerpower bei Twitter. Und das führte zum Erfolg, weshalb ich hier schon einmal danke. Nach ein paar Retweets meldet sich mit @Febrazink der erste Zweifel:

Über die Wikimedia Commons hätte ich auch einen Hinweis zum Zweifel an der Echtheit des falschen Stamitzbildes finden können. Bis in diese Tiefen war ich allerdings nicht vorgedrungen. Der Herr mit der gut frisierten Perücke, der gelangweilt am Beistelltisch lungert, ist also Alexandre Jean Joseph Le Riche de La Pouplinière, wie mir auch @fg68at bestätigt. Hätte ich mir ja auch denken können.

Und – was die Rasuren der falschen Porträts erklärt: der Name steht sogar unter dem Bild. Im Originalporträt, das ein Herr Jean-Joseph Balechou 1766 geschaffen hat, ist sogar noch ein Gedicht über den Frühling und die von Pouplinière just zerblätterte Rose enthalten. 1762 starb Pouplinière, mit dem sich die Fake-Porträter immerhin einen Kunstförderer ausgesucht haben, der mit den Musikern der Mannheimer Schule bekannt war und sogar ein eigenes Orchester besaß. Genau da dürfte aber irgendwann eine Verwechslung losgetreten worden sein, die bis heute den Mäzen zum Künstler macht.

Tja, und wen zeigt denn nun dieses Carl-Stamitz-Porträt? Gar den Milchmann von Carl Stamitz? Und wer erfand eigentlich den Popelinmantel?

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Veröffentlicht in hörendenkenschreiben Weblog

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