Cellist Friedrich Thiele und „medicanti“ spielten im Alten Schlachthof
Nach Osten wies das neueste Konzertprogramm des Orchesters „medicanti“, das sich ja längst vom Kammerorchester zum Sinfonieorchester gemausert hat und mit mindestens zwei sinfonischen Konzertprogrammen ein großes und treues Publikum zu begeistern weiß. Für die russische Musik gönnte sich das Orchester einen Ausflug in den Alten Schlachthof, was bei klassikerfahrenen Besuchern immer ein leichtes Stirnrunzeln auslöst, denn dieser Ort ist nicht einfach zu bespielen.
Für die Musiker war es sicher eine besondere Herausforderung, doch um so überzeugender war das klangliche Ergebnis, das Dirigent Wolfgang Behrend aus der großen Besetzung herauszuholen wusste. Mitunter musste da mit großem Bogen gearbeitet werden, und die Bläser zeigten sowohl Mut zu offen liegenden Passagen wie auch zur gemeinsamen dynamischen Umsicht. Doch da darf man bei einem Mediziner-Orchester vertrauen, denn das Bild der „Arbeit am offenen Herzen“ gilt ja auch für die Musik, in der sich Leidenschaft und Kompetenz vereinen.
Etwas akkurat und mit dem Willen zum Zusammenfinden wurde zunächst in der „Nacht auf dem kahlen Berge“ von Modest Mussorgski getanzt, während man zum folgenden Sinfoniesatz aus der Studienzeit von Sergej Rachmaninow verzweifelt einen wohlwollenden Satz im Programmheft suchte, allein: der Komponist war damit nicht zufrieden, seine Lehrer auch nicht. Behrend gelang es dennoch, die romantisch-klangschönen Linien in dem – nunja, wirklich nicht ausgefallenen Stück – liebevoll zu musizieren.
Einen Gipfel an Konzentration und Können galt es allerdings nach der Pause zu erklimmen: das 1. Cellokonzert Es-Dur von Dmitri Schostakowitsch verlangt auch dem begleitenden Orchester einiges ab, und für das in einer halben Stunde gewaltige emotionale Höhen und Tiefen durchmessende Stück braucht es einen Solisten, der etwas zu erzählen hat. Der 23-jährige Dresdner Cellist Friedrich Thiele erhielt im letzten Jahr beim ARD Musikwettbewerb mehrfache Auszeichnungen und ist in naher Reichweite einer internationalen Musikkarriere – schön, dass er mit vollem Ausdruckswillen und auch Risikofreude dieses für den großen Cellisten Mstislaw Rostropowitsch geschriebene, facettenreiche Konzert trotzdem zunächst dem heimatlichen Dresdner Publikum vorstellte.
Das bejubelte diesen Höhepunkt des medicanti-Konzerts auch ausgiebig, denn Thiele ließ sich tief auf diese Klangwelt ein, in der der Solist sogar einen „Cadenza“ überschriebenen Satz alleine zu bestreiten hat. Auch in den anderen Sätzen riss er das ganze Orchester mit seiner Spielweise mit und suchte immer den Kontakt. Das motivierte etwa die Holzbläser im 1. Satz zu einer staunenswerten Höchstleistung, und auch der Dialog mit dem 1. Horn trug die klar bestimmte Farbe einer zwingenden Auseinandersetzung. Nach der sich steigernden Kadenz ließ Thiele im Finalsatz die Pferde los und es war eindrucksvoll zu verfolgen, wie in dieser nun wieder tänzerischen Virtuosität bis zum Schlusston Kraft und Ausdruck in keiner Note – auch im Orchester nicht – nachließen. Thiele bedankte sich mit dem „Kindermarsch“ von Sergej Prokofiev für den Beifall, mit dem er die Anerkennung seiner absolut eigenen, starken Handschrift für dieses große Cellokonzert des 20. Jahrhunderts erhielt.
Durchatmen und freispielen hieß es nun für das finale Orchesterwerk des Konzerts, aber Vorsicht: Alexander Borodins „Polowetzer Tänze“ sind zwar ein Schlager bei jedem Open-Air-Event, die Bläserpassagen sind jedoch durchaus tricky zu nennen. Kein Problem für die „medicanti“, die – den über den ganzen Abend ziemlich unsensibel agierenden Gast-Paukisten einmal ausgenommen – sogar die schwierige Akustik im vollbesetzten Schlachthof meisterten. Kein russisch schwerer Abend für das Publikum also, sondern jede Menge Musizierfreude vom Podium – diesmal mit etwas Glamour aus den Scheinwerfern des Schlachthofes, demnächst dann auch wieder in der Kreuzkirche.
- „medicanti“ spielen ihr nächstes Sinfoniekonzert am 21.6.2020 um 17 Uhr in der Kreuzkirche, dann steht u. a. die 5. Sinfonie f-Moll der Komponistin Emilie Mayer auf dem Programm.
Fotos (c) Christina Schimmer
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