Saisoneröffnung mit dem Gustav-Mahler-Jugendorchester bei der Staatskapelle Dresden
Saisoneröffnung! Es ist ein mit festlichen Klängen und Erinnerungen verbundenes Wort, dass uns derzeit eher gemischte Gefühle beschert, denn egal wo auch die Theater und Orchester derzeit wieder zaghaft die Tore öffnen: nichts ist wie zuvor, und die lange erarbeiteten Spielpläne sind zumeist Makulatur. Und doch, und das war auch bei der Saisoneröffnung der Sächsischen Staatskapelle Dresden im Rund der Semperoper am Sonnabend spürbar, geben alle Beteiligten, Musiker wie Zuhörer ihre Zuversicht mit in die Aufführungen: ja, es wird gespielt, und die Musik nimmt uns niemand. Und so traf man sich im vertrauten Saal zu einer Eröffnung, die ebenfalls vertraut scheint, denn das traditionell eingeladene Gustav-Mahler-Jugendorchester übernimmt das Präludium, bevor das 1. Sinfoniekonzert über die Bühne geht. Und ausgerechnet das letzte große Sinfoniekonzert der Staatskapelle – die Aufführung der monumentalen Gurre-Lieder von Arnold Schönberg in der zweiten Märzwoche, wenige Tage vor dem Shutdown der Kultur – war ebenfalls ein Kooperationsprojekt mit dem GMJO.
Auf bühnenfüllende Werke der Spätromantik und des 20. Jahrhunderts wird man noch warten müssen, auch wenn jüngst gerade Christian Thielemann mit den Wiener Philharmonikern eine umjubelte Aufführung von Bruckners Romantischer Sinfonie bei den Salzburger Festspielen zelebrierte – es gilt also, die Bedingungen und Möglichkeiten weiterhin zu überprüfen. Einstweilen, und das zeigte die Saisoneröffnung in Dresden eindrücklich, gelingt dennoch Berührendes, denn die emotionale Tiefe eines Kunstwerkes hängt nicht von der Besetzungsgröße ab.
Ein leider noch immer sehr verkannter Meister differenzierter Instrumentation und mit einer ganz eigenen Musiksprache ausgestatteter Komponist ist der Schweizer Othmar Schoeck (1886-1957), dessen Oper Penthesilea 2008 mit großem Erfolg an der Semperoper inszeniert wurde. Seine einzigartigen Liederzyklen harren der Wiederentdeckung, obgleich sich bereits Dietrich Fischer-Dieskau für diese Werke einsetzte, die in frappierender Weise etwa Mahlers Liedsprache weiterdenken und dabei aber ganz neue Farben und Schattierungen erfinden. Für die höchst anspruchsvolle Aufgabe, den fast einstündigen Zyklus Elegie für Bariton und Kammerorchester zu stimmungsvollem Leben zu erwecken, wurde nun Christian Gerhaher gewonnen, der schon im letzten Jahr zu gleicher Gelegenheit mit Mahlers Rückert-Liedern begeisterte. Nun sorgte er erneut für ein sehr berührendes, intensives Erlebnis, und gemeinsam mit den Musikern der Staatskapelle Dresden und dem GMJO unter Leitung des jungen britischen Dirigenten Duncan Ward, der damit sein Debüt beim Orchester gab, gelang Großartiges:
Zwar sind die klassischen Gedichte von Eichendorff und Lenau eindeutig in der Aussage, doch Schoeck begnügt sich nicht mit der oberflächlichen Ebene einer naturalistischen Darstellung. Gerhaher spürte in den sich oft zu einem Dickicht verzweigenden Linien der Lieder diesem Untergrund, oftmals Abgrund nach und wusste mit fantastischer Beherrschung zwischen aufkeimender Dramatik und den Geheimnissen hinter den Worten und Noten zu vermitteln. Dieser herausragenden Interpretation folgte man einigermaßen atemlos, auch wenn nicht jedes der 24 Lieder von gleicher kompositorischer Stärke ist. Doch etwa die seltsam rhythmisch verschobene „Vesper“, die rauschhaften Linien in „Verlorenes Glück“ oder das sanft hoffnungsvolle Finale – nach etlichen Gängen auf Friedhöfen, durch Unwetter oder an Felsen und Grüften vorbei – beeindruckten in der genau getroffenen Stimmung und spätestens nach diesem Konzert weiß man, was Melancholie in der Musik zu bedeuten vermag.
Wäre hier die auch von den beiden Orchestern fantastisch ausgestaltete Saisoneröffnung zu Ende gewesen, wäre man wohl in eine hochromantische Bitterkeit entlassen worden, daher war die Wahl der lichten 5. Sinfonie B-Dur von Franz Schubert zwar der größtmögliche Kontrast, doch eben auch ein wunderbarer Beweis, was Musik alles sein kann. Es brauchte nur wenig Zeit, bis die Musiker in die von Duncan Ward hier hervorragend übertragene Lockerheit, in das Schwingen dieser ungetrübten Musik hineinfanden, dann aber war der strahlende Kapellklang (samt jugendlicher GMJO-Unterstützung) fast greifbar und man verfolgte nun wieder leichteren Herzens die in den Details fein ausgehörten Eskapaden dieser Sinfonie. Ein gelungenes Dirigentendebüt, ein ungewöhnlicher, hoffnungmachender Auftakt oder, um es mit Nikolaus Lenau zu sagen: „Mir wächst in solcher Stund‘ und härtet sich der Wille.“
Fotos (c) Oliver Killig
Für alle, die mehr über Othmar Schoeck und seinen Geburtsort in der Innerschweiz erfahren möchten:
https://schoeckfestival.ch/