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Geburtstag in d-Moll

Sonderkonzert zum 472. Geburtstag der Sächsischen Staatskapelle Dresden

Was wünscht man sich eigentlich so zum 472. Geburtstag? Der gern gewählte Spruch „Gesundheit und ein langes Leben!“ scheint heute angebrachter denn je, auch wenn die Kapelle bereits ein langes Leben hinter sich hat. Aber warum nicht noch einmal 472 Jahre? Angesichts des hervorragend gelungenen Sonderkonzertes zum Tag der Kapellgründung 1548 im Auftrag des Kurfürsten Moritz von Sachsen am Dienstagabend im vollbesetzten (Drittel-) Kulturpalast hätte wohl niemand etwas dagegen. Seit einigen Jahren schon beschenkt die Staatskapelle ihr Publikum mit diesem Sonderkonzert und immer ist dieser Abend auch etwas Besonderes – in den letzten Jahren wurde der Programmplatz oft für eine Wiederaufführung typischer Hofmusik genutzt.

Sächsische Staatskapelle Dresden im Kulturpalast am 22.9.2020

Da das Geburtstagskonzert nun aber im Kulturpalast stattfindet, dürfen es durchaus auch romantische Klänge sein – und in besonderer Weise wird ja damit auch eine Epoche gewürdigt, die das Ensemble vor allem durch Weber, Wagner und Strauss stark geprägt hat. Doch diese drei standen diesmal nicht auf dem Programm, stattdessen Johannes Brahms und Antonín Dvořák, deren Werke ebenfalls eine lange Kapellpflege aufweisen. Was schenkte man sich noch? Einen Abend in d-Moll, denn beide Werke standen in dieser Tonart und das ist zumindest für ein Geburtstagsständchen dann doch die eher nachdenkliche Variante, die bei Brahms auch dramatische Züge annimmt, während sie bei Dvořák eher melancholisch-elegisch ausfällt.

András Schiff

Und genau diese Farben waren spannend zu verfolgen, weil der Erste Gastdirigent der Sächsischen Staatskapelle, der südkoreanische Dirigent Myung-Whun Chung, sie gemeinsam mit dem Orchester freizulegen weiß. Vielleicht ist diese Wertschätzung der beiden Komponisten auch eine ähnliche Beziehung, die Chung mit dem Orchester pflegt: man weiß um die Stärken des anderen und kann in diesem Respekt Außergewöhnliches schaffen. Die beiden Werke jedoch haben eine eigene Geschichte und liegen auch gut fünfundzwanzig Jahre voneinander entfernt: bekannt ist Brahms‘ Ringen um den Klavierkonzert-Erstling, lange vor der ersten Sinfonie verfasst, und leider gekrönt von einem Durchfallen bei Publikum und Kritik, während Dvořák bei aller gedeckten Tönung der 7. Sinfonie alle vier Sätze doch unheimlich leicht und homogen verwebt. Dass der ungarische Pianist Sir András Schiff – in diesem Jahr auch Capell-Virtuos des Orchesters – den Solopart in Brahms 1. Klavierkonzert übernahm, ist ein besonderes Geschenk.

Myung-Whun Chung

Jede Note war da wissend und absichtsvoll gesetzt, ohne dass es jemals ein überintellektuelles Spiel wurde. In seiner positivsten Bedeutung dürfte die Beschreibung einer eigenwilligen Interpretation jedoch zutreffen, denn manche Spielweisen blieben auch als provokative Frage im Raum stehen, da gab es hier und da mal steif forte gespielte Läufe, die aber wie die Bearbeitung eines Gesteins wirkten und sich in den Gesamtzusammenhang einfügten. Dieses Konzert verzärtelt kleinzureden war Schiffs Sache nicht, aber selbst in eisern wirkenden Passagen nuancierte Schiff sehr klug und legte damit einmal mehr Brahms‘ Kühnheiten bloß. Ein wunderbarer Dunkelfriede beherrschte den zweiten Satz, auch im Orchester, das Chung mühelos zur Sanftheit aufforderte. Der dritte Satz schließlich geriet kaum mehr wie in Brahms eigenem Traum als „ein Finale, furchtbar schwer und groß“, wobei Schiff am Ende eine Steigerung beschritt, die eigentlich gar nicht mehr nötig war, so viel Absicht und Ernst war schon vollzogen.

Der starke Applaus motivierte Schiff, der verschmitzte Blick zu Konzertmeister Roland Straumer sagte „Ich spiel‘ noch was Kleines“, und mit der gelassen perlenden Gavotte aus Johann Sebastian Bachs Englischer Suite Nr. 6 machte Schiff kurz das Licht zum D-Dur wieder an. Antonín Dvořáks 7. Sinfonie zeigte dann den ganz anderen Zugang zur Molltonart. Der Böhme beherrscht natürlich auch die dramatische Geste, den Seufzer und den Gang zur Apotheose, doch war es eine sehr gute Leistung von Orchester und Dirigent, Maß zu halten und immer wieder aufeinander zu hören, wobei einige harmonische Übergänge und die ersten beiden Satzschlüsse geradezu himmlisch gelangen. Solch eine stimmige und auch lebenstönende Interpretation hört man selten und diese war des Geburtstages sehr würdig.

Fotos (c) Matthias Creutziger


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Veröffentlicht in Dresden Rezensionen

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