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Versunken im Mahler-Paradies

4. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle mit Werken von Berg und Mahler

Wer den Wörthersee in Kärnten nicht nur zur Erholung in der Sommerfrische aufsucht, kann auf den Spuren bedeutender Komponisten wandeln, denen die beschauliche Umgebung Ruhe und Inspiration gab. Eigentlich hätte im 4. Sinfoniekonzert der Staatskapelle Dresden noch das Brahmssche Violinkonzert gefehlt, das in 1878 Pörtschach entstanden ist, vielleicht schwebte es aber wie ein guter kärtnerischer Geist über den Werken von Alban Berg und Gustav Mahler, deren jeweilige feuchte Komponiertinten zwar fünfunddreißig Jahre, aber eben nur zwanzig Kilometer zwischen Maiernigg und Velden trennten. Viel mehr noch als die geographische Nähe lag in der Person von Alma Mahler-Werfel, der großen Persönlichkeit in der Musik- und Literaturszene der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der bedeutenden Muse und Witwe Gustav Mahlers, die entscheidende Verbindung zwischen beiden Werken, war doch Alban Bergs Violinkonzert „Dem Andenken eines Engels“, der früh verstorbenen Manon Gropius, Tochter von Alma Mahler und Walter Gropius gewidmet. Almas erste Affäre mit Gropius wiederum sorgte – lange nach Mahlers in Kärntner Sommerferien entstandener 4. Sinfonie G-Dur – für enorme Verstörung bei dem bereits erkrankten Komponisten: sein Spätwerk spricht Bände davon. Doch von all diesen Zusammenhängen brauchte niemand etwas wissen, der in der Semperoper am Freitagabend schlicht die Ohren aufsperrte und beiden sinnfällig nebeneinander platzierten Werken lauschte.

In der Interpretation durch die Staatskapelle und mit zwei diese Art von Musik kongenial interpretierenden Künstlern versehen, bereicherten sich die Stücke gegenseitig und ließen auch die ihnen angedeihten Klischees, Geschichten und Zeugnisse der Zeit hinter sich. Das Violinkonzert von Alban Berg einzig als Trauermusik auf die Bühne zu bringen, schien weder in der Absicht von dem für Robin Ticciati eingesprungenen britischen Dirigenten Daniel Harding noch bei der Geigerin Isabelle Faust zu liegen, trotzdem bildeten Schmerz, Erinnerung und ernste Haltung eine Konstante in dieser hochintensiven Berg-Beschäftigung, wozu aber eben auch Kärtner Volksmusik, Bachchoräle und die auffahrende Exzentrik der parallel entstehenden Oper „Lulu“ gehören.

Noch zu Beginn der Aufführung in der Semperoper war nicht klar, wohin die Reise gehen würde, doch da hat Alban Berg mit seiner offenen Einleitung selbst Mitschuld: die Grate sind schmal in diesem Violinkonzert, es benötigt der Übersicht und ruhigen Musizierhaltung einer Isabelle Faust, eben nicht einer Überziehung der Charaktere oder einer – sogar vom Komponisten autorisierten! – Romantisierung zu erliegen. So entwickelte Faust einen enormen Atembogen über das gesamte Konzert und spielte vor allem mit unglaublichen Schattierungen der Melancholie in ihrem Solopart, während Harding den Orchesterpart fast wie Porzellan behandelte, knapp über dem Boden schwebend und sich manchmal dem „nicht zu sehr“ hingebend, damit aber die Fragilität der gesamten Anlage verstärkend. Die Zugabe von György Kurtágs „Doloroso“ schien, dem Berg-Konzert absolut zugehörig, in bescheidener Weise ein „So ist es“ hinzuzufügen – stark!

Was 1901 ein Kritiker als „kränklich abschmeckende Übermusik“ abtat, formte Dirigent Daniel Harding dann wie eine Beschäftigung mit einer musikalischen Schatztruhe, aus der vor allem Sinnlichkeit, Kindlichkeit und – ja, auch dies wohnt dieser Partitur unbedingt inne – Behaglichkeit hervorströmte. Denn vor allem wird in dieser 4. Sinfonie von Gustav Mahler, die den frühen Liedzyklen nahesteht, sehr viel gesungen und getanzt, jedoch nur wenig gezweifelt und geklagt. Harding ging mit viel Natürlichkeit ans Werk, ließ die melodiösen Qualitäten der Kapelle aufblitzen und hatte nach einem interpretatorisch etwas unentschiedenen ersten Satz die Zügel in den Mittelsätzen besser in der Hand – eine seltene Homogenität in der gemeinsamen Zielrichtung und Phrasierung war in den langsamen Teilen des 3. Satzes die Folge, und die schönen Soli von Roland Straumer (Violine) und Robert Langbein (Horn) unterstrichen den naturalistischen Aspekt. Kindlich-wohltuend beschrieb die Sopranistin Regula Mühlemann am Ende der Sinfonie den „Himmlischen Freuden“. Dabei war sie wohl bedacht auf einen stets beibehaltenen Liedcharakter, gab nichts Verkünsteltes oder Ariettenhaftes bei und lotete auch in der Tiefe ihren warmen Stimmklang wunderbar aus – in dieses Mahler-Paradies sinkt man gerne hinein.

Foto (c) Matthias Creutziger

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Veröffentlicht in Rezensionen

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