Uraufführung des „Requiems für Syrien“ von George Alexander Albrecht in Dresden
Jeder von uns verbindet mit dem Land Syrien andere Bilder, Erlebnisse und Erinnerungen und das Land ist allgegenwärtig in den Medien. Was für uns schwer verständlich ist, ist die Struktur des nun schon Jahre währenden Terrors und der Feindschaften innerhalb und außerhalb des Landes – das „Warum“. Was wir sehen, ist das Ergebnis: zerstörte Städte und Kulturen, vom Krieg traumatisierte Menschen sowie abwägende Interessengruppen, die schon die Zukunft im Blick haben und Land und Leute aufteilen wollen, was längst zu weiteren Konflikten in der arabischen Welt führt. Und schließlich müssen wir uns positionieren. Geht uns das was an? Ist das nicht alles viel zu weit weg? Nein, Humanität gebietet, dass wir Anteil nehmen, uns mit dem Menschenschicksal beschäftigen, es auch dokumentieren und nachfühlen, und vielleicht kann auch der künstlerische Kontakt und Austausch ein Verständnis fördern – mit Werten eines friedlichen Zusammenlebens, die, so hofft man immer noch, eigentlich weltweit gelten müssten.
Dies und vor allem die Herzensangelegenheit der mitfühlenden Äußerung von Vorgängen wie Angst, Trauer und Trost war das Anliegen des in Weimar lebenden Komponisten und Dirigenten George Alexander Albrecht, ein „Requiem für Syrien“ zu verfassen, das am Sonntagabend im Dresdner Kulturpalast von der Dresdner Philharmonie, den Philharmonischen Chören und Solisten unter Leitung von Chefdirigent Michael Sanderling erfolgreich uraufgeführt wurde – am Ende gab es sehr starken Beifall für alle Interpreten und besonders für den Komponisten. Der oben beschriebene künstlerische Drang und die allumfassende, hier auch überkonfessionell formulierte Friedensbitte legitimiert ein solches Werk ohnehin, im Detail aber muss sich ein Komponist auch Fragen der Position und Perspektive stellen oder, anders: wie würde ein solches Requiem aus der Feder eines syrischen Komponisten klingen?
Albrecht schafft es mit starker eigener Konzeption, solchen Gefahren einer Kulturaneignung oder eines westlich geprägten, somit überstülpenden Mitleides weitgehend aus dem Weg zu gehen, ganz gelingt es ihm jedoch nicht. Vor allem die zeitlichen Ebenen verrutschen ihm, der ja mit einer Uraufführung zeitgenössische, jetzige Kunst, eine Äußerung der Gegenwart vermitteln will. Wie passt da Albrechts durmolltonale Musik im Stile eines Gustav Mahler hinein, der teilweise in harmonischen Wendungen offen zitiert oder zumindest paraphrasiert wird? Musikalisch wird der Hörer also zwischen 1905 und der Gegenwart hin- und hergeschüttelt, literarisch geht es sogar zwischen den biblischen Psalmen, Goethes „West-östlichem Divan“ und jungen syrischen Dichtern (deren Texte zwar gesprochen wurden, ein Abdruck zum Nachlesen fehlte aber im Programm: man wird leider erfolgreich daran gehindert, sich weiter mit diesen spannenden Texten zu beschäftigen!) hin und her.
Der erste Teil dieser etwa dreiviertelstündigen Kantate gelang Albrecht dramaturgisch überzeugend: das Wechselspiel zwischen den in Verzweiflung bittenden Chören (die Philharmonischen Chöre in der Einstudierung von Iris Geißler und Gunter Berger sangen – trotz zahlenmäßig erschreckend gering besetzten Männerstimmen – differenziert ausgestaltend und klangstark) und deutsch-arabischer Lesung mit Improvisation auf der Kurzhalslaute Oud (Alaa Zouiten) baute einiges an Spannung auf. Das war in den folgenden Teilen auch aufgrund von aufführungspraktischen Schwierigkeiten nicht mehr durchzuhalten, wenngleich Dirigent Michael Sanderling auf klare Akzente setzte und in den ariosen Passagen die Philharmoniker weich begleiten ließ. Genau diese Werkteile aber muteten in ihrem Strauss-Mahler-Duktus noch viel fremder an als die etwa äußerst klangvolle arabische Rezitation (Lara Arabi) der Gedichte von SAID, Monzer Masri oder Nazmi Bakr. Susanne Bernhard (Sopran) und Bettina Ranch (Mezzosopran) gestalteten eben klassisch-opernhaft ihre Partien, während Daniel Behle (Tenor) sich unvorteilhaft gegen das an dieser Stelle Zerstörung und Krieg symbolisierende Orchesterwüten durchsetzen musste. Thomas Stimmel schließlich kam nur als Sprecher einigermaßen im Publikum an, seine eher liedhaft geführter Bassbariton war schlicht zu schwach.
Albrechts musikalische Ideen zu den Psalmen und Goetheversen verflachten zum Ende hin zusehends zu einem schlagzeugschweren und immer kurzatmigeren Pathos, dem man die Eindringlichkeit des Beginns nicht mehr zuordnen konnte und demgegenüber sich wirklich spannende, leise a cappella-Passagen im Chor in der Erinnerung schnell abschwächten. Gustav Mahlers Adagio aus der 10. Sinfonie – in der Cooke-Fassung, warum eigentlich? – war dem neuen Werk vorangestellt. Das sollte wohl die musikalische Verwandtschaft beider Werke verdeutlichen, eine Brücke gelang im Konzert nicht, zu autark ist des Komponisten persönliche Krisenentäußerung („Wahnsinn fasst mich an!“) in diesem unvollendeten, letzten sinfonischen Werk. Michael Sanderling konnte zwar eine eindringliche Interpretation ausgestalten und vor allem auf die Aufmerksamkeit seiner Philharmoniker im harmonischen Fortgang dieses zwischen leichter Verklärung und schwerer Lebenslast pendelnden Werkes vertrauen, doch gerade in den 1. Violinen und den themengebenden Bratschen blieben einige klangliche Wünsche offen.
- Deutschlandfunk sendet den Konzertmitschnitt am 29. Juli 2018 um 21.05 Uhr im Rahmen der Sendung „Konzertdokument der Woche“
Foto (c) Björn Kadenbach
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